Gelungene Integration? Die VHS Wien und ihr Ansatz in der Integrationspolitik

Wien war und bleibt eine Migrations- bzw. Zuwanderungsstadt. Seit Jahrhunderten ziehen oder flüchten Menschen aus diversen Gründen nach Wien. Seit Herbst 2015 kommen wieder vermehrt Menschen nach Österreich, die in ihrem Heimatland verfolgt werden oder vor unzumutbaren Situationen fliehen. Den Staat, die Bevölkerung und vor allem die Geflüchteten stellt dies vor Herausforderungen und verursacht bei einigen Menschen Ängste. Umso wichtiger ist es, die Lebenssituationen, ihre Ängste, Traumata und die wenigen vorhandenen Perspektiven von Geflüchteten richtig einschätzen zu können, um ihnen Hilfestellung beim Einleben in Österreich geben zu können. Dieses Wissen hilft auch, um Fragen und Sorgen von ÖsterreicherInnen beantworten und in Diskussionen eingreifen zu können.

Die Wiener Volkshochschulen als Bildungseinrichtung sehen sich hier als ein zentraler Akteur und wirken in zahlreichen Projekten und Initiativen mit, von denen hier exemplarisch drei vorgestellt werden.

Chancen durch Bildung ermöglichen
STARTwien – das Jugendcollege

Für jugendliche ZuwanderInnen (vorwiegend AsylwerberInnen, Asylberechtigte bzw. subsidiär Schutzberechtigte), die ihre Schulpflicht bereits absolviert haben, hat die Stadt Wien ein eigenes College an ein Bieterkonsortium, bestehend aus neun PartnerInnen (Erwachsenenbildungseinrichtungen und NGOs) mit der VHS Wien als Leadpartner in Auftrag gegeben. Dort sollen 1000 Jugendliche und jugendliche Erwachsene zwischen 15 und 21 Jahren auf den Umstieg ins reguläre Schul- bzw. Ausbildungssystem und für den Berufseinstieg vorbereitet werden.

Flexibilität durch modulares System

Unterschiedliche Lernbedarfe machen eine breite Palette an Angeboten notwendig. Die Ausgangsbasis und die Zielvorstellungen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind sehr unterschiedlich. Deshalb wird ein umfassendes „Clearing“ zu Beginn darüber entscheiden, welche Angebote zu den Lernvoraussetzungen und Bildungs- bzw. Berufszielen passen.

Je nach Lernbedarf werden die TeilnehmerInnen in unterschiedliche Lerngruppen eingeteilt. Manche TeilnehmerInnen werden umfassende Basisbildung (Deutsch, Englisch, Mathematik, IKT) für den Erwerb eines Pflichtschulabschlusses oder für die Lehrstellensuche benötigen, jene mit entsprechendem schulischen Hintergrund sowie Kenntnissen in Deutsch sollen auf weiterführende höhere Schulen bzw. konkrete Berufswege vorbereitet werden.

Das Modell des Bildungsangebots ist ein dreistufiges, mehrphasiges und multimodulares: Es ist damit so flexibel wie möglich und die Lernwege für die TeilnehmerInnen sind transparent darstellbar. Übergänge und Neueinstiege sind dadurch leicht möglich. Ebenso kann auf Veränderungen hinsichtlich der Bedarfslagen flexibel reagiert werden. Der Stundenplan für die TeilnehmerInnen ergibt sich durch die Kombination von Kern- und Spezialmodulen. Im Rahmen der Kernmodule findet bedarfsorientierte Sprachförderung in Deutsch statt, die Spezialmodule werden entsprechend der jeweiligen Stufe und individuellen Bildungsziele kombiniert. So wird es beispielsweise für alle TeilnehmerInnen das Modul „kritische Partizipation“ (politisches und gesellschaftliches Zusammenleben in Österreich) geben, für die Berufsvorbereitung ist Werkstättenunterricht vorgesehen, für anstehende Aufnahme- oder Sprachprüfungen werden spezielle Prüfungsvorbereitungen erstellt und für Schulabschluss-AnwärterInnen gibt es eigene Sachfachmodule. Durch die Parallelführung der Stundenpläne können stufenübergreifend sozialintegrative Aktivitäten (Exkursionen, freizeitpädagogische Angebote, „open school“) in neu zusammengesetzten Gruppen oder in Großgruppen durchgeführt werden.

Coaching und Begleitung von Anfang an

In der Einstiegsphase gibt es für Interessierte Informationsveranstaltungen zu den Angeboten des Colleges. Für TeilnehmerInnen beginnt der Start ins College mit einem umfassenden Clearing und einem Beratungsgespräch, das den Ausgangspunkt für kontinuierliches Perspektivencoaching (Erstellung eines Bildungsplans für jede/n TeilnehmerIn) bildet.

Laufendes Coaching und durchgehende Begleitung sind von besonderer Bedeutung. Sozialarbeit und sozialpädagogische Betreuung werden für die TeilnehmerInnen während der gesamten Verweildauer im College zur Verfügung stehen und sind ebenso für die Nachbetreuung an den Schnittstellen zu den weiterführenden Bildungs- und Berufsangeboten vorgesehen.

Angebote in den Erstsprachen der TeilnehmerInnen

Nachdem viele Jugendliche kein bzw. nur wenig Deutsch sprechen, ist der Einbezug von Erstsprache/n sowohl beim Clearing als auch bei den Angeboten von großer Bedeutung. TeilnehmerInnen, die nicht in ihrer Erstsprache literalisiert sind, sollen im Rahmen des Jugendcolleges die Möglichkeit haben, dieses Angebot in Anspruch zu nehmen.

Checkpoint Bildung – Kurse für Geflüchtete

Seit Herbst 2015 beeindrucken die österreichische Zivilgesellschaft, Vereine und Organisationen mit ihrer Bereitschaft, geflüchteten Menschen Hilfe zukommen zu lassen. Neben Materialspenden und Unterstützung bei bürokratischen Erledigungen haben viele Menschen angeboten, Geflüchteten beim Erlernen der deutschen Sprache zu helfen. Dieses Engagement ist nicht zu unterschätzen, da es nicht genügend Kursangebote gibt. Damit die geflüchteten Menschen ihre erworbenen Kenntnisse auch offiziell anerkannt belegen können, ist die Absolvierung von gängigen Sprachprüfungen die Regel.

Das Projekt „Checkpoint Bildung“ richtet sich an geflüchtete Erwachsene, die auf unterschiedlichen Wegen Deutschkenntnisse auf den Niveaus A1, A2 und B1 erworben haben und eine anerkannte ÖSD-Prüfung absolvieren möchten. Während der Projektlaufzeit werden von den beiden involvierten Organisationen, dem Verein „Projekt Integrationshaus“ und den Wiener Volkshochschulen – 50 bzw. 100 Prüfungen durch qualifizierte PrüferInnen abgenommen.

Checkpoint Bildung bietet nicht nur die Möglichkeit von Prüfungen, sondern informiert generell über das ÖSD-Prüfungsdesign und ermittelt durch den ÖSD-Orientierungscheck die jeweils adäquate Stufe und somit Prüfung für die Interessierten.

Neben der Erhebung des Deutschniveaus und der Prüfungsberatung gibt es für geflüchtete Erwachsene auch die Möglichkeit Lern-Cafés zu besuchen. An der VHS Favoriten können die offenen Cafés, die von Deutsch-als-Zweitsprache-LehrerInnen und SozialpädagogInnen angeleitet werden, von Geflüchteten mit bereits vorhandenen Deutschkenntnissen besucht werden. Auch ehrenamtliche DeutschlehrerInnen sind eingeladen, unterstützend daran mitzuwirken. In den Lerncafés werden anhand von Unterrichtsmaterialien Themen aufbereitet und mit zunehmenden Deutschkenntnissen der Geflüchteten wird der Schwerpunkt, wie es einem Café gebührt, auf Konversation verlagert.

Integration durch Beschäftigung
IGOR – Integrationsarbeit und Gesundheitsförderung im öffentlichen Raum

Seit Sommer 2014 besuchten junge Geflüchtete das Geriatriezentrum „Am Wienerwald“ in Hietzing. Im vergangenen Jahr wurde aufgrund des Umzugs der BewohnerInnen in ein anderes Pflegewohnhaus eine neue Initiative geboren. IGOR – Integrationsarbeit und Gesundheitsförderung im öffentlichen Raum ist ein Projekt der VHS Hietzing, des Krankenhauses Hietzing, des Krankenanstaltenverbundes, des Arbeitersamariterbundes, der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik, dem Fonds Soziales Wien und rund 30 freiwilligen HelferInnen.

Angeleitet durch das Team der VHS Hietzing, die medizinischen Fachkräfte des Hietzinger Krankenhauses und die vielen Freiwilligen können die Geflüchteten zur Ruhe kommen, sich gebraucht und gewollt fühlen und Sorgen in den Hintergrund treten lassen. Alles Bedingungen, die zu Integration und gesunder Lebensweise beitragen. Dies erkannte auch die Stadt Wien und verlieh dem Projekt IGOR den Wiener Gesundheitspreis 2016.

Notwendige Maßnahmen für Geflüchtete

Bedürfnisse von geflüchteten Menschen sind vielschichtig. Die Unterschiede resultieren aus Fluchtgründen, Familienverhältnissen, Traumata, Herkunft, Alter, Geschlecht, Bildungsstand etc. Somit kann die Aufforderung zur Integration nicht ein steriler statischer Forderungskatalog sein, den man geflüchteten Menschen vorsetzt. Die Bedürfnisse der Betroffenen müssen erkannt und gestillt werden.

Als Dreh- und Angelpunkt zeichnet sich dabei der Erwerb der jeweiligen Behördensprache(n) im Aufnahmeland aus. Somit sind ausreichend finanzierte Deutschkurse in Österreich absolute Grundvoraussetzung, um Geflüchteten überhaupt die Chance auf gelungene Teilhabe an der österreichischen Gesellschaft zu geben. Dies allein ist jedoch nicht ausreichend, um Geflüchteten Weiterbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten, selbständige Interaktion mit ÖsterreicherInnen und Zukunftsperspektiven zu ermöglichen, die Voraussetzung für eine partizipative und demokratische Inklusion ist.

Die MitarbeiterInnen der Wiener Volkshochschulen sowie unserer Partnerorganisationen, die FördergeberInnen und zahlreiche freiwillige HelferInnen in den diversen Projekten schaffen mit ihrem beispielhaften Einsatz für die Geflüchteten Möglichkeiten zu einer demokratischen und partizipativen Integration. //

Jagsch, Stefan/Neumüller, Magdalena/Thill, Jean-Marie (2016): Gelungene Integration? Die VHS Wien und ihr Ansatz in der Integrationspolitik. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Dezember 2016, Heft 260/67. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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