Was anders aussehen soll: Alles. Oder fast alles. Dies betrifft die gegenwärtige Schulbildung.
In übersichtlicher Weise skizzieren die Autoren Harald Lesch, Professor für Theoretische Astrophysik und bekannter Wissenschaftskommunikator sowie Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik, ihre Analysen und Visionen. Die bestehende Krise der Schule vergleichen sie drastisch. Analog zur ökologischen Klimakrise sprechen sie von „pädagogischer Klimakrise“.
Die Botschaft der Autoren lautet, anstelle der bestehenden Lernschule soll eine Bildungsschule treten. Wichtig: eine Schule, die Freude macht.
In ihren übergreifenden Zielsetzungen soll sie dem 4-K Modell der OECD verpflichtet sein: Kreativität, Kollaboration, Kommunikation, kritisches Denken.1
Vordringlich fordern die Autoren eine Reform des Lehrplans und damit einhergehend eine neue Gewichtung der angebotenen Fächer. Nach „Entrümpelung“ des Lehrplans sollte den musischen Fächern vorrangiger Stellenwert eingeräumt werden. Sport-, Musik- und Kunstunterricht, ausgestattet mit höherer Stundenzahl, soll Freude an eigenständiger Aktivität und Inspiration fördern. Diese „Neugewichtung“ soll auch jenen Kindern zugutekommen, deren Eltern sich die Kosten der meist privaten Angebote in diesen Sparten bislang weniger leicht leisten konnten.
Was neben den Lehrplänen darüber hinaus „anders“ werden soll, artikulieren die beiden Autoren in den folgenden Kapiteln: Lehrer, Schule, Schulsystem, Unterricht, Eltern, Schüler.
Kurz resümiert finden sich darin eine Reihe nicht unbekannter aber pointiert zusammengefasster Erwartungen. Von Lehrenden wird eine positive Achtsamkeit bezüglich „Fehler“ gefordert – denn Fehler können als Anlässe fungieren, erneut nachzudenken, alternative Lösungsmöglichkeiten zu suchen, zielführende Strategien zu entwickeln. Von den Autoren wird vorgeschlagen, eine produktive „Fehlerkultur“ zu pflegen.
Als Vorbilder sollen Lehrende in und mit ihren Meinungen nicht neutral bleiben, sondern sie begründend, nachvollziehbar äußern, aber damit die Lernenden nicht „überwältigen“. Nicht zuletzt sollen Lehrende sich untereinander austauschen, miteinander kommunizieren und kooperieren, um Teamgeist, der sich bei der Jugend entfalten soll, vorzuleben.
Für das „System Schule“ fordern die Autoren generell weniger Streit über Strukturen, dafür aber intensivere Qualitätsdebatten.
Entsprechend wachsender Diversität in der Bevölkerung braucht es mehr Inklusion in der Schule. Nicht Unterschiede einzuebnen, simple „Gleichmacherei“, sondern Bildungsgerechtigkeit ist das Ziel. Konsequenterweise verlangen die Autoren für diese „Andersheiten“ einen Unterricht, der nicht nur Inhalte vermittelt, sondern auch Werterziehung intendiert sowie Emotionalität, Spiritualität und Gemeinschaft beachtet.
Neuen Stellenwert erhalten Eltern. Sie werden als Teil einer „Erziehungskoalition“ mit Lehrenden, Verwandten und Bekannten gesehen: im Sinne des afrikanischen Sprichworts, um ein Kind zu erziehen, bedarf es des ganzen Dorfes. Schließlich erörtern die Autoren auch, was bezüglich Schülerinnen und Schülern „anders“ sein soll. Aufgrund ihres großen menschlichen Potenzials sollen diese im Hinblick auf ihre Möglichkeiten und Herausforderungen ernst genommen werden. Sie verkörpern die Hoffnung, als gefestigte Persönlichkeiten, zum Erhalt demokratischer Gesellschaften beizutragen.
Im abschließenden Kapitel, „Pädagogische Zeitenwende“ (ein gewisses Haschen nach aktuellen medialen „Schlag“wörtern ist nicht zu überlesen), fassen die Autoren ihre Kritik zusammen. In sieben Thesen, bezogen auf die vorangegangenen Kapitel, stellen sie ihre Vision einer „guten Bildung“ vor.
Etwas irritierend ist, wie die beiden wissenschaftlichen Autoren „muss“ und „müssen“ als Betonung einsetzen: Schule muss Gemeinschaft fördern, das Schulsystem muss inklusiv und gerecht sein, Unterricht und Schule müssen Freude bereiten, Digitalisierung muss in die Schulen Eingang finden aber der Fokus muss auf Schülerinnen und Schüler ausgerichtet bleiben. Das wirkt sehr direktiv, apodiktisch, alternativlos, unnachgiebig. Stattdessen würden „soll“ und „sollen“ mehr Spielraum für Veränderungsprozesse und Kompromisse geben, wie auch der prinzipiellen Unabgeschlossenheit wissenschaftlicher Aussagen ihre Relativität belassen. Nicht zuletzt bliebe die individuelle Freiheit bei pädagogischem Handeln und Entscheiden vielleicht besser gewahrt.
Vergisst man bei der Lektüre nicht, wie sehr in Deutschland und Österreich Bildungszugang und Bildungserfolg von der sozialen Herkunft, wie sehr Bildung von gesellschaftlichen Interessenlagen und Machtverhältnissen beeinflusst sind, gibt die Publikation eine übersichtliche Schau der schulischen Problemfelder. Das kann Diskussionen mit und zwischen Eltern – Elternbildung! -, Lehrenden, Verantwortlichen für Schulen, besonders auch im regionalen Bereich, bei dem Bemühen unterstützen, Kindern „gute Bildung“ erleben zu lassen. //
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