Volkshochschulen waren und sind keine staatlichen Gründungen, sie entstanden als Bildungsvereine oder andere Zusammenschlüsse von Menschen, die nach dem Gesetz über die Vereins- und Versammlungsfreiheit 1867 ihre Freiheit wahrnahmen und sich zivilgesellschaftlich organisierten in jenem ‚Dazwischen‘ zwischen Staatlichkeit und Wirtschaft, jenem Bereich, der in der rückständigen Habsburgermonarchie recht spät entstand. Der Begriff „Zivilgesellschaft“ steht in unterschiedlichen Diskurstraditionen (Votsos: 2001), entweder wird er inspiriert durch die euphorischen Debatten um die bürgerliche, zivile Gesellschaft verstanden (wie Andreas Kohls „Bürgergesellschaft“), die gegen Autoritarismus und Entsolidarisierung steht, für Freiwilligenarbeit und gegen die korrupte Politik. Zivilgesellschaft ist hier ein normativer Begriff und „gut“ an sich, eine anfechtbare Einschätzung, weil z. B. auch die Kapitolstürmer in den USA 2021 als Akteure der Zivilgesellschaft verstanden werden sollten.
Ein anderer Zugang versteht Zivilgesellschaft als die unendliche Vielfalt und Fülle des Ausdrucks menschlicher Kultur. (Vgl. Raymond Williams1). Kultur wird hier nicht verstanden als wertvolle, überlegene Hochkultur, sondern als wertvolle, vielfältige Alltagskultur, die dort auszumachen ist, wo Menschen leben, feiern, ihre Freizeit genießen oder die Zumutungen der Lohn-Arbeit entgegen den Zwängen der Wirtschaft kultivieren, die Regierung und ihre Anstrengungen, Menschen zu disziplinieren oder zu „kultivieren“, kritisieren. Menschen treffen sich in Gesangsvereinen, Sportvereinen, Kegelclubs, Briefmarkensammlervereinen, Do-it-Yourself Assoziationen, Repair-Cafes, Community-Gärten, Vernetzungen gegen Rechts, Leseclubs, Theatervereinen, KZ-Verbänden, Freidenkerclubs, Bürgerrechtsverbänden, Frauenbewegungsaktivitäten, Bibliotheken, Volkshochschulen – aber auch in Kameradschaftsbünden, Kellernazistreffs oder bei Umtrieben von AbtreibungsgegnerInnen oder neoliberalen Thinktanks wie der Agenda Austria. Auch sie gehören zur Zivilgesellschaft. Diese sicherlich subjektive Gegenüberstellung zeigt, dass Zivilgesellschaft auch ein Ort der Positionierung und Aushandlung über den gesellschaftlichen Konsens ist, über Gut und Böse. Die Zivilgesellschaft ist ein Ort der Politik, der Formierung von gesellschaftlicher Meinung und hegemonialen Ansichten darüber, was Gut und Böse ist, oder moderner formuliert, was anstrebenswert ist oder nicht. Referenzpunkt dieser Fassung von Zivilgesellschaft ist der italienische Philosoph Antonio Gramsci, der sich in den 1930er-Jahren überlegte – in Gefängnishaft der italienischen Faschisten – wie es passieren konnte, dass ein junger demokratischer Staat wie Italien derart rasch an Stammtischen, in Vereinen und in der alltäglichen Einschätzung der Menschen die Anerkennung und Legitimation verlieren konnte.
Die Volkshochschulen entstanden Ende des 19. Jahrhunderts in diesem vielfältigen veränderlichen Feld, nicht als staatliche Gründungen wie die Schulen oder die Universitäten, sondern aus Interessen und Initiativen von Menschen.
Volkshochschulen nicht Schulen!
Die Volkshochschulen entstanden Ende des 19. Jahrhunderts aus Bildungsinitiativen und Vereinen, die Bildung für alle anboten. Um neben der Monotonie des Arbeitsalltages einen Zugang zu Wissen zu ermöglichen, vor allem zu traditionellen Wissensbeständen, wurde ein lebensweltorientierter und offener Zugang und eine neue Bildungspraxis, eine lebendige partizipative Wissensproduktion und -praxis propagiert. („lebendige Wissenschaft“ – Zilsel: 1937, 162).
Die Volkshochschulen waren – und sind auch heute noch oft – Vereine und standen in derselben Entwicklungslinie wie HandwerkerInnen- oder ArbeiterInnenbildungsvereine2, die Wissen als ermächtigend sahen, und unabhängig von staatlichen Bildungspolitiken standen. Die Volkshochschulen waren und sind Orte der Neugier nach Wissen, nicht des Drills und sie sind Orte des politischen Interesses und der noch nicht so benannten demokratiepolitischen Bildung. Zur Zeit ihrer Gründung waren die Volkshochschulen auch oder besonders Bildungsorte für die vom Bildungssystem Ausgeschlossenen und Bildungsfernen, um die geforderte „Bildung für alle“ zu konkretisieren; ein Anspruch, der durchaus den Widerstand der „Obrigkeit“ herausforderte (Filla: 2001). Die „Obrigkeit“, der Staat, stand zur Jahrhundertwende für eine standeserhaltende Bildung mit geschlechtsspezifischen und herkunftsspezifischen Ausschlüssen. Volkshochschulgründungen – wie die des Volksheims Ottakring3 – wurden daher kritisch beobachtet. Ausgangspunkt für das öffentliche, staatlich gegründete Schul- und Bildungssystem war nicht der Wunsch nach Emanzipation des „Volkes“ oder die Befreiung der Untertanen gewesen, sondern die Notwendigkeit einer spezifischen Qualifikation innerhalb der sich modernisierenden Gesellschaft, freilich unter Beibehaltung gesellschaftlicher Ungleichheiten und Hierarchien.
Ganz anders die frühe moderne, zivilgesellschaftliche Erwachsenenbildung in den Volksbildungseinrichtungen: Hier fanden auch die durch institutionelle Bildungsausschlüsse besonders betroffenen Gruppen Zugang als TeilnehmerInnen oder Lehrende: Frauen, HandwerkerInnen, ArbeiterInnen und auch JüdInnen (die von antisemitischen, frauenfeindlichen, traditionellen oder ständischen Ausschlussmechanismen – besonders an den Universitäten – betroffen waren. Die in Österreich größtenteils ausbleibende Öffnung der Universitäten, wie sie etwa in der angelsächsischen Welt unter dem Begriff „University Extension“ (ab 1873, vgl. Goldman: 1996) realisiert wurde, und die mehr bedeutete als eine „mildtätige“ universitäre Vortragstätigkeit für die „ungebildeten Volksmassen“, war dabei eine die Volkshochschulbewegung in Österreich positiv begünstigende Rahmenbedingung. Emanzipatorische Bildung fand verkürzt dargestellt stärker an den Volkshochschulen als an den konservativ-elitären Universitäten statt. Der Austrofaschismus und der folgende Nationalsozialismus setzten ab 1934/1938 einen radikalen Schnitt und zerstörten alle fortschrittlichen, linken aber auch emanzipatorisch-bürgerlichen zivilgesellschaftlichen Organisationsformen und kulturellen Assoziationen. Die Volkshochschulen versuchten nach 1945 an diese
zivilgesellschaftliche Tradition der Offenheit des Zugangs und der Offenheit für neue Methoden und Beteiligung anzuknüpfen. (Siehe Spurensuche 2020; Filla: 1988, 1991, 1994).
Ihren Gründungsideologien und Statuten nach, aber auch in ihrer Praxis, waren und sind die Volkshochschulen Initiativen der Zivilgesellschaft, ganz anders als das öffentliche Bildungssystem.
Eine beeindruckende Vielfalt an AkteurInnen, Institutionen und Ideen
Die Vielfältigkeit und Eingebundenheit der Erwachsenenbildung und Volkshochschulen in die lebendige Welt der Initiativen, Vereine und Bürgerbewegungen zeigt sich in einer einfachen Darstellung alleine der rund 170 Projekte der Erwachsenenbildung, die durch die Österreichische Gesellschaft für politische Bildung (https://www.politischebildung.at) im Jahre 2020 gefördert wurden. (Vgl. Projektdatenbank der Knowledgebase Erwachsenenbildung). //
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