„Nichts ist zerstörerischer als die Macht des Menschen über den Menschen“. Diese Einsicht vermittelt uns die Hauptfigur des auf Tatsachen basierenden Romans, Konstantin Milew Scheitanow. Seit seiner Schulzeit wehrt er sich gegen die Unterwerfung durch den Staat, durch dessen Einrichtungen und ihre Vertreter. Zu Letzteren gehört sein Antagonist im Roman, Metodic Popow. Dieser durchläuft den Karriereweg im Militär, agiert als erfolgreicher Geschäftsmann und führendes Mitglied der Sozialistischen Partei. Am Beispiel der beiden Lebensläufe schildert Ilija Trojanow auf Basis der Aussagen von Zeitzeugen – politischen Häftlingen, Mitarbeitern der Staatssicherheit – sowie originalen Dokumenten aus den Archiven der Staatssicherheit, Lebensbedingungen in Bulgarien von der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis in die nahe Gegenwart.
Ilija Trojanow, 1965 in Bulgarien geboren, in Europa, Afrika und Indien erwachsen geworden, hat sich inzwischen als erfolgreicher deutschsprachiger Schriftsteller (z.B. „Der Weltensammler“) etabliert. Sein Widerstand gegen Unterdrückung, sein politisches Engagement und sein Einsatz für eine bessere Gesellschaft zeichnen sein Schreiben und Handeln aus. Auch dieses Buch, das mit den Zuständen und Menschen seiner ursprünglichen Heimat Bulgarien zu tun hat, nimmt Partei für Widerstand gegen ungerechte Verhältnisse, gegen die davon profitierenden Mächtigen, gegen Denunzianten und Mitläufer.
Trojanow schildert das Schicksal Konstantins: In jungen Jahren wurde er wegen eines Bombenanschlags gegen eine Statue Stalins zu 20 Jahren Lagerhaft verurteilt. Er bleibt trotz Folter und Gefängnis geistig ungebrochen. Er unterwirft sich nicht dem Programm kommunistischer Umerziehung. Trotz Einzelhaft, so ein Bericht aus dem Staatsarchiv, behält er „[…] eine feindliche Einstellung gegenüber den Maßnahmen der Volksregierung.“ Nach dem politischen Umbruch in der Sowjetunion und in den kommunistischen Ländern des Ostblocks erfährt auch Bulgarien einen Wandel. Nach dem Ende seiner Lagerhaft liest Konstantin in freigegebenen Dossiers über ihn gesammelte Aussagen. Er will wissen, welche Menschen ihn preisgegeben und verraten haben. Parallel dazu erfahren wir vom „guten Leben“ seines Widersachers Metodic Popow, den seine Vergangenheit im Hinblick auf eine ihm bislang unbekannte Vaterschaft allenfalls irritiert aber nicht in seinem Verhalten erschüttert.
Konstantin verstand das Lager als Kampf, als gesellschaftliche Norm. Das ganze Land schien ihm Gefängnis für das schweigende Volk – das Lager sah er als die letzte Bastion der Freiheit. Nach seiner Entlassung kehrt er zu Menschen heim, die verfängliche Themen vermeiden und gelernt hatten sich selbst zu überwachen. Konstantin empfindet: „Es kam mir vor, als wäre der Alltag eine Sprache, die ich als Einziger nicht verstand.“
Das Buch ist ein Lehrstück über politische Gewaltmaßnahmen und soziale Unterdrückung, die vordergründig darauf zielen, einen „Neuen Menschen“ herzustellen. Eine Lektüre, die bewegt, für ein Leben in demokratischen Verhältnissen zu danken und diese zu schützen. Der Roman vermittelt die Botschaft, zu den eigenen Überzeugungen zu stehen, auf Argumente zu vertrauen und Widerstand gegen ungerechtfertigte Macht zu leisten. //
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