Weiterbildung und Regionalentwicklung im Vinschgau – eine Symbiose
Masche für Masche für die Zukunft? Warum ein ‚unsexiger‘ Strickkurs mehr zur Regionalentwicklung beiträgt, als man denkt!

Allgemeine Erwachsenenbildung wird oft unterschätzt. Welchen Beitrag kann ein ‚unsexiger‘ Strickkurs, so verführerisch wie eine Steuererklärung, für die Regionalentwicklung leisten? Viel! So etwa die Förderung des persönlichen Wohlbefindens, Ausgeglichenheit, Motivation, Ziele setzen und erreichen, in Gemeinschaft ähnliche Interessen verfolgen – somit positive Auswirkungen auf das soziale Umfeld und den Arbeitsplatz. 

Als Maxime der Erwachsenenbildung im ländlichen Raum sehen wir, als Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung (GWR), den Menschen ins Zentrum unserer Tätigkeiten zu stellen. Jeder Mensch soll unabhängig von seinem Hintergrund, bestimmt durch Alter, Geschlecht, Herkunft, Sprache, Religion, Beruf, Ausbildung oder Fähigkeiten, Zugang zu Weiterbildung und somit zur Förderung beruflicher, fachlicher, sozialer und kultureller Bildung haben.

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Bahnhof  Spondinig/Vinschgau
Foto: GWR

Weiterbildungsangebote schaffen gesellschaftliche und zwischenmenschliche Beziehungen und Netze über gemeinsame Themen. Unterschiedliche, im spezifischen Interesse gleichgesinnte, aber ansonsten unterschiedliche Menschen kommen zusammen. Es wird voneinander und miteinander gelernt, und es bilden sich Überschneidungen, welche sich gesamtgesellschaftlich auswirken. Horizonte werden erweitert, mit Rückkoppelung ins Gebiet, die positive Auswirkungen auf Zusammenhalt, Erneuerungsprozesse und Offenheit für Neues hat. Weiterbildung ist ein Kitt und fördert Entwicklung vor Ort. Insbesondere in sogenannten strukturschwachen Gebieten kann sie auf verschiedenen Ebenen regionalentwicklungsspezifische Prozesse anstoßen und festigen. Prozesse und Entwicklungen dürfen wachsen können. Bildung stärkt das Vertrauen in die Region.

Für den Erfolg von verschiedenen Initiativen, Projekten und dergleichen mehr ist es wesentlich, diese durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ergänzen bzw. abzurunden. Stellvertretend stehen hier vor allem Initiativen in den Bereichen Kultur, Biodiversität, regionale Produkte und Gesundheit. Eine Wechselwirkung ist gegeben. Es erwachsen umsetzbare Ideen und fortlaufend neue Angebote, Maßnahmen und Dienstleistungen für ein vorrangig peripheres Gebiet. Erfolgreiche Ansätze und Maßnahmen, die mit dem Projektstatus enden, können in der Verbindung von Weiterbildung und Regionalentwicklung in operative Tätigkeiten integriert werden.

Partnerschaften und Bedarfsorientierung

Wichtig ist es, Offenheit zu schaffen für neue Themen und Wege (gesellschaftliche Veränderungen), und zwar immer unter Einbindung des regionalen Netzwerks. Subsidiarität, Vernetzung, Zusammenarbeit und Kooperationen setzen Verantwortung und schaffen gleichzeitig vereinte Kräfte für Anliegen auf höherer Entscheidungsebene. Vielfältige Schwerpunkte und wertschätzende Partnerschaften bündeln Ressourcen und erweitern Erfolgsaussichten, sie ermöglichen es, bedarfsorientiert unterschiedlichste Initiativen anzuregen und unkompliziert umzusetzen. Der Kontakt und die Nähe zu den Menschen und Einrichtungen vor Ort begünstigt zudem eine effiziente Bedarfserhöhung und Zusammenarbeit in der Organisation der Weiterbildungsangebote vor Ort. Bedarfsorientierte Weiterbildung mündet in konkrete Umsetzungsmaßnahmen.

Eine bestehende Vernetzung im Gebiet und Komplementarität

Durch die geografische Lage des Einzugsgebiets im Dreiländereck Italien – Schweiz – Österreich (Terra Raetica) löst die Weiterbildung im Vinschgau auch grenzüberschreitende Impulse und Kooperationen aus.

Gelebt wird ein Bottom-up-Prinzip (Graswurzelbewegung) für anhaltende mehrjährige Veränderungen, langfristigen Lösungen und eine ganzheitliche Entwicklung. Kleine überschaubare Maßnahmen sind für die Bevölkerung direkt spürbar. Sie werden, stetig weiterentwickelt und können angepasst werden und sich verselbstständigen. Manches, so ehrlich muss man sich sein, muss eingestampft werden, kann jedoch in der Zukunft wieder eine neue, zeitgemäßere Rolle spielen. Zertifizierungen spielen daher eine untergeordnete Rolle, da die Qualitätskontrolle direkt von der Bevölkerung/Kunden ausgeübt wird. 

Leichte Erreichbarkeit über Haupt- und öffentliche Verkehrslinien sowie z. B. über Radwege symbolisiert Vernetzung und Zugehörigkeit mit den Menschen und Einrichtungen in der Region. Durch Synchronisation der Kurszeiten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kann flexibel auf Wünsche der Kursteilnehmer*innen eingegangen werden, was in weiterer Folge die Nutzung fördert. Weiters erleichtert die Dezentralisierung von Bildungsangeboten die Erreichbarkeit und den Zugang. Die Mehrfachnutzung öffentlicher Räume/Strukturen in Randlagen belebt diese, fördert die lokale Verbundenheit, den Austausch und die Angebotsgestaltung. 

Gemeinwohlorientierung

Im Sinne eines Unternehmens zu denken und zu handeln, und dabei ausschließlich gemeinnützige Zwecke ohne Gewinnabsicht zu verfolgen, ermöglicht einer Weiterbildungseinrichtung, flexibel und gezielt auf die Bedürfnisse der Kursteilnehmer*innen und Netzwerkpartner einzugehen. Ein schlanker Verwaltungsapparat, die Verbundenheit mit den Menschen, privaten Organisationen und Verbänden sowie öffentlichen Körperschaften in der Region ergänzt um das Selbstverständnis, sich selbst als lernende Einrichtung zu sehen, ermöglichen eine flexible Personalpolitik, kurze Wege, Effizienz und gemeinwohlorientierte Leistungen für das Ehrenamt in Eigenleistung. Dadurch entstehen weitere Netzwerke und Synergien, die den Bürger*innen vor Ort zugutekommen. Ein wichtiger Aspekt ist es, sich der eigenen Stärken bewusst zu sein, auf sich selbst vertrauend zu agieren. Eine gemeinnützige Ausrichtung mit sozialer Verantwortung und die kooperativen Tätigkeiten in der Region setzen sozialökonomische Kräfte frei.

Lokaler Referent*innenstab

Über einen über die Jahre konstanten lokalen Referent*innenstab, der mit den Gegebenheiten und Bedürfnissen vor Ort bestens vertraut ist, findet eine starke Identifikation mit den Tätigkeiten der Weiterbildungseinrichtung und der Region statt. Lokale Talente und Fähigkeiten werden wertgeschätzt, können gezeigt und Wissen sowie Fertigkeiten weitergegeben werden. Die lokale Identität wird gestärkt und die Wertschöpfung bleibt in der Region. Bildungsniveau und Sozialblasen-unabhängige Angebote bieten ein unbelastetes und sicheres Umfeld, wirken sozialer Ungleichheit entgegen, fördern Solidarität, bergen ein zwischenmenschliches Durchmischungspotenzial und setzen die soziale Mobilität in Bewegung.

Teilnehmer*innen

Für das lebenslange Lernen und Bildungsangebote an der Peripherie ist es erforderlich, Möglichkeiten zu schaffen, um Angebote mit einer geringen Anzahl an Kursteilnehmer*innen umzusetzen, womit Anfangsskepsis oder kurzfristige Absagen überbrückt werden können. Dies betrifft konstante Kursangebote oder Spezialisierungsangebote genauso wie neue Weiterbildungsmaßnahmen – hierbei hat sich die Südtiroler Landesregierung/Amt für Weiterbildung in naher Vergangenheit (Pandemiezeit und danach) – verständnisvoll und konstruktiv gezeigt. Für die Einbindung bildungsferner Gruppen ist ein niederschwelliges und preisgünstiges Angebot prioritär. Das heißt, mit Ressourcen ist sparsam, wirtschaftlich und effizient umzugehen, damit Weiterbildung für alle leistbar ist.

Kursinteressierte befinden sich seit einigen Jahren in einem persönlichen Spannungsfeld. Aufgrund gesellschaftlicher Turbulenzen und weltweiter Entwicklungen sind Langzeitauswirkungen festzustellen: Eine gewisse Zurückhaltung bzw. Skepsis in der subjektiven Wahrnehmung zu den Aus -und Weiterbildungsangeboten ist zu erkennen. Dies spiegelt sich in Unverbindlichkeit und Kurzfristigkeit auf Kundenseite wider, was Flexibilität erfordert.

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Bildung für alle – gemeinsam lernen, wachsen und begegnen

Jeder Mensch hat ein Recht auf Bildung. Deshalb bietet die Integrierte Volkshochschule Vinschgau (IVHS) ein vielfältiges Weiterbildungsangebot für alle an. Besonders wichtig ist es, dass die Kurse für alle zugänglich sind, unabhängig von individuellen Voraussetzungen oder besonderen Bedürfnissen.

Bewusst werden ein barrierefreies offenes Umfeld, vielfältige Lerngruppen, in denen Menschen mit und ohne Behinderung zusammenkommen, sich begegnen und voneinander lernen, gefördert. So entstehen wertvolle Gelegenheiten für Austausch, gemeinsames Wachsen und gelebte Inklusion. Ziel ist es, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch einen Beitrag zu einer offenen und inklusiven Gesellschaft zu leisten (GWR: 2025, o. S.). Ein solcher, seit Jahrzehnten verfolgter integrativer Ansatz fördert die Akzeptanz in der Gesellschaft, auch durch öffentliche inklusive Kulturveranstaltungen.

Fördern und Fordern

Migration ist ein bedeutendes Thema mit bereichsübergreifenden Beiträgen und Herausforderungen. Sprach- und Kulturvermittlung fördert die Integration ins oft als geschlossen empfundene Leben im Dorf. Aufgrund kultureller Prägungen aus den Herkunftsländern gestaltet sich die Integration von Migrantinnen häufig schwieriger als die von zugewanderten Männern und Kindern. Männer erlernen die Sprache meist am Arbeitsplatz, während Kinder sie durch den Austausch mit Gleichaltrigen im Alltag erwerben. Für Migrantinnen ist der Erwerb alltagsrelevanter Sprachkompetenzen essenziell. Eine pädagogisch-didaktischer Schwerpunktsetzung, kombiniert mit lebenspraktischen und sozialen Elementen sowie geschützten Rahmenbedingungen und einer familienfreundlichen Organisation, unterstützt ihre sprachliche Handlungsfähigkeit, erleichtert die soziale Integration und ermöglicht eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Ein niederschwelliger Einstieg, eine gezielte Einstufungskontrolle sowie eine individuelle Sprachberatung mit Fokus auf persönlichen Stärken fördern den Lernerfolg. Zudem bietet die Möglichkeit, eine anerkannte Prüfung abzulegen (fördert den Erfolg des Spracherwerbs), eine wertvolle Perspektive für die berufliche und gesellschaftliche Integration. Sprach- und Kulturkurse tragen nicht nur zur Sprachförderung bei, sondern auch zum interkulturellen Austausch und zum gegenseitigen Lernen. Sie regen zur Reflexion über eigene Lebensweisen an, erleichtern die gesellschaftliche Integration und fördern ein harmonisches Miteinander. Konkrete Anwendungsbereiche sind beispielsweise die Schulwelt, das Vereinsleben, eigenständige Einkaufs- und Behördengänge sowie die Integration in den Arbeitsmarkt. Dies stärkt das Selbstbewusstsein, erhöht die Eigenständigkeit, reduziert soziale Isolation und wirkt der Entstehung von Parallelgesellschaften präventiv entgegen. Weiters wird die Identifikation mit dem Gebiet, seinen Menschen und Traditionen gestärkt.

Zusammenfassend stärkt Erwachsenenbildung den ländlichen Raum und ist ein wesentlicher Motor für die Entwicklung des Lebensraums: der Strukturen, der Wirtschaft, der Umwelt, des sozialen Miteinanders, Festigung der regionalen Identität und generell der Lebensqualität. //

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Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung (GWR)

Bahnhof Spondinig, I-39026 Prad am Stilfserjoch, +39 0473 428 238, www.gwr.it, info@gwr.it, gwr.spondinig / ivhs

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Gründung: 2001, inklusive der Vorgängerorganisation (Zentrum für permanente Weiterbildung) sind wir seit 1992 (Start LEADER I) in die Bildungslandschaft und Regionalentwicklung im Vinschgau eingebunden.

Schwerpunkte: allgemeine Weiterbildung, Integrierte Volkshochschule, Sommerbetreuungsangebote, Sprachkurse, Sportforum Mals, EU-Förderprogramme (Interreg, LEADER, ESF), niederschwellige Assistenzleistung: „Sonnenstrahl“ (Senioren).

Quellenverzeichnis
Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung (GWR) (2025): Integrierte Volkshochschule. Programm. Verfügbar unter: https://www.gwr.it/lvhs-programm [11.03.2025].

Thaler, Peter Luis (2025): Weiterbildung und Regionalentwicklung im Vinschgau – eine Symbiose. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Frühjahr 2025, Heft 284/76. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien

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