Im Jahr 2011 wurden für Österreich etwas mehr als 290 Angebote zur Förderung von Erwachsenenbildung und Weiterbildung2 erhoben. Der größte Teil sind Förderungsangebote für Individuen, nämlich 245, der verbleibende Rest richtet sich an Betriebe. Die weitaus meisten Förderungsangebote sind direkte. Indirekte Förderungsangebote für Individuen sind beispielsweise Bildungssparen, Bildungsdarlehen oder die Absetzbarkeit von Weiterbildung (9 von 245 Modellen), bei den betrieblichen Förderangeboten sind es Steuererleichterungen oder Implacement/Arbeitskräfteüberlassung (6 von 4). (Fleischer, Hefler & Markowitsch: 2011).3
Seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union haben sich die Weiterbildungsförderungen rasant entwickelt. Den Anfang machte Oberösterreich mit dem allgemeinen Bildungskonto, das im Jahr 1995 eingeführt wurde. Im selben Jahr folgte das Bildungskonto in Wien, das vom Wiener ArbeitnehmerInnen-Förderungsfonds verwaltet wird, und der steirische Bildungsscheck. 1998 wurde der Salzburger Bildungsscheck ins Leben gerufen, nach und nach folgten dann die anderen Bundesländer. Die seit 1987 bestehende burgenländische Qualifikationsförderung wurde als individuelle Weiterbildungsförderung fortgeschrieben. (Vergleich im Detail: Hefler, Markowitsch & Fleischer: 2013, S. 347 ff.).
Bedeutung von Weiterbildungsförderung
Erwachsenenbildung ermöglicht vielfältige Chancen. D er Abschluss einer Erstausbildung, wie hoch sie auch immer sein mag, kann durch höhere Abschlüsse über Erwachsenenbildung ergänzt werden. Schätzungen zufolge hat ungefähr ein Viertel der Erwachsenen ihren höchsten Bildungsabschluss im Erwachsenenalter erworben – im Rahmen des Zweiten Bildungsweges, der sowohl in der non-formalen Erwachsenenbildung (hauptsächlich: Volkshochschulen, Berufsförderungsinstitute, Wirtschaftsförderungsinstitute) durchgeführt wird als auch im formalen Bildungssystem (Abendschulen). (Markowitsch & Hefler: 2014).
Der Zweite Bildungsweg und andere Angebote der Erwachsenenbildung sind zum Teil mit hohen Kosten verbunden und Kosten stellen eine von mehreren Barrieren im Zugang zur Erwachsenenbildung und Weiterbildung dar. Patricia K. Cross nennt folgende drei Arten von Barrieren: Situative, Institutionelle und Dispositionale. (Cross: 1981).
Situative Barrieren sind beim Einzelnen zu finden. Wieviel Geld steht zur Verfügung? Gibt es eine Unterstützung in der Familie oder durch den Arbeitgeber – die familiäre Unterstützung bleibt bei Frauen häufiger aus als bei Männern. Mit welchen Fahrzeiten zum Bildungsangebot ist zu rechnen? Stehen öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung? Schließlich ist noch die Frage nach der zur Verfügung stehenden Zeit für Weiterbildung zu stellen.
Institutionelle Barrieren sind beim Anbieter zu suchen. Zu welchen Zeiten werden Bildungsangebote durchgeführt, in welcher Intensität, et cetera ? Wie hoch sind die Kursgebühren? Nicht zu unterschätzen sind auch die administrativen Prozeduren: Wie einfach ist das Anmeldeverfahren, schreckt es vielleicht ab, weil schon bei der Anmeldung sehr viele personenbezogene Daten verlangt werden?
Bei den dispositionalen Barrieren geht es um Einstellungsmuster zur Erwachsenenbildung. Auch Erfahrungen mit dem Lernen, mit dem Weiterlernen können hier bedeutend sein. Schließlich ist auch das Umfeld zu berücksichtigten, d. h. wie dort das Erwachsenenlernen gesehen wird.
Mit Bildungsgutscheinen bzw. nachfrageorientierten Förderungspolitiken soll die Teilnahme an Erwachsenenbildung erhöht werden. Insbesondere sollen Menschen zur Teilnahme motiviert werden, die in der Weiterbildungsteilnahme unterrepräsentiert sind. Dazu werden zumeist Menschen mit niedrigen Erstausbildungen (Pflichtschulabschluss, höchstens Lehrabschluss bzw. Berufsbildende Mittlere Schule). Hier ist anzumerken, dass benachteiligte Zielgruppen auch solche sein können, die über eine höhere Erstausbildung verfügen, sich Weiterbildung aufgrund ihres geringen Einkommens aber nicht leisten können.
Wie wirken Investitionen in Nachfrageorientierung?
Weiterbildung wirkt meist längerfristig. Sei es durch längere, oft mehrjährige Lehrgänge oder durch mehrere Weiterbildungsmodule, die aufeinander abgestimmt sind.
Bei nachfrageorientierten Bildungsförderungen können mehrere Effekte ausgemacht werden, wie zum Beispiel:
Anschub und Mobilisierung zur Weiterbildung;
Beschleunigung von Weiterbildungsentscheidungen;
latente Weiterbildungsbereitschaft wandelt sich in eine manifeste;
durch den Finanzierungsanreiz werden Weiterbildungen vorgezogen und
eine Förderung ermöglicht auch die Teilnahme an höherpreisiger Weiterbildung.
Nur mit Weiterbildungsgutscheinen alleine können sogenannte Risikogruppen nicht erreicht werden, es hat sich aber herausgestellt, dass diese Gutscheine bzw. Individualförderungen im Kontext mit anderen Instrumenten gut wirken können und zumindest einen ersten Beitrag zur Inanspruchnahme von Weiterbildung leisten. Wie bildungs- und sozial benachteiligte Erwachsene erreicht und zum Weiterlernen motiviert werden können, dazu gibt es zahlreiche Erfahrungen und Modelle guter Praxis (McGivney: 1996; McGivney: 2004), in vielen Fällen fehlt noch eine kohärente Politik – abgesehen von Maßnahmen zur Basisbildung und Grundbildung wie zum Beispiel der Initiative Erwachsenenbildung.
Ein interessantes Beispiel ist der Genfer Bildungsgutschein, der seit über zehn Jahren besteht. Der Gutschein kann einfach bezogen werden, anspruchsberechtigt sind alle Personen, die im Kanton Genf wohnen oder arbeiten und er ist inhaltlich offen, er kann sowohl für berufsorientierte als auch für allgemeine Erwachsenenbildung verwendet werden und außerdem für Kompetenzbilanzierung (individuelle Standortbestimmung) sowie für Validierungsverfahren. (Schläfli & Sgier: 2013). Dem Programm haften kein Stigma und kein Almosenimage an und der Gutschein leistet „tatsächlich einen Beitrag zur Verringerung der Chancenungleichheit im Bildungsbereich“ (ebd.: S. 264): Überproportional viele Personen ohne einen „nachobligatorischen Bildungsabschluss“ nehmen den Bildungsgutschein in Anspruch. Der Bildungsgutschein zeigt eine Reihe von Effekten, die für die Autonomie der Lernenden bedeutsam sind:
„Definieren individueller Weiterbildungsziele
Umfang der Weiterbildungsaktivität und Wahl von Weiterbildungsangeboten
Entwerfen von Zukunftsperspektiven
Erwartungshaltung gegenüber Förderangeboten („Recht auf Weiterbildung“)
Erwartungen an die Arbeitgeber
Erwartungen an Weiterbildungskurse
Vermeidung von Abhängigkeiten
Überwindung von Restriktionen anderer Ämter
Mitnahmeeffekte.“ (Ebd.: S. 266).
Die Ausrichtung auf die breite Bevölkerung dürfte ein wichtiger Faktor sein, um auch wenig Qualifizierte zu erreichen. In der Bildungsforschung wird hier von einem „Tragwelleneffekt“ gesprochen. (Muth & Völzke: 2013).
Ein anderer Effekt, der im Zusammenhang mit Bildungsgutscheinen und Individualförderungen immer wieder ins Spiel gebracht wird, ist der „Mitnahmeeffekt“, der nun kurz diskutiert werden soll.
Mitnahmeeffekt
Unter „Mitnahmeeffekt“ ist zu verstehen, dass eine Weiterbildung auch ohne eine Förderung bzw. ohne einen Bildungsgutschein in Anspruch genommen wird. Der Mitnahmeeffekt wird aus bildungsökonomischer Sicht daher immer wieder kritisiert und in weiterer Folge werden verschiedene staatlich finanzierte Förderungsaktivitäten damit in Frage gestellt. In Evaluationen wird der Mitnahmeeffekt meist über Fragestellungen wie „Hätten Sie dieses Bildungsangebot auch dann in Anspruch genommen, wenn Sie keine Förderung erhalten hätten?“ erhoben. Bei der Beantwortung ergeben sich zumeist oft Werte zwischen 40 und 60 Prozent. Bei genauerem Hinsehen verringern sich diese Werte jedoch deutlich. Denn hier handelt es sich um sehr simple Effekte bzw. um „Bruttomitnahmeeffekte“, weil eine Reihe von „zusätzlichen Verhaltensänderungen“ , die sich durch zumeist die Inanspruchnahme von Bildungsgutscheinen ergeben, unberücksichtigt bleiben. (Käpplinger: 2013, S. 70). Weitere solche Verhaltensänderungen sind zum Beispiel:
Besuch einer geplanten Weiterbildung, die – ohne Förderung – nicht in Anspruch genommen werden hätte können. Die Förderung bewirkt eine weitere Weiterbildung, eine Fortsetzung oder sogar eine Intensivierung der Weiterbildung.
Eine höherpreisige Weiterbildung kann durch die Förderung besucht werden.
Schließlich kann die Förderung bewirken, dass eine Weiterbildung früher als geplant besucht wird.
Hier haben wir es mit mehreren „Nettomitnahmeeffekten“ zu tun, die den Mitnahmeeffekt schlussendlich deutlich geringer werden lassen und die die Gültigkeit der in Evaluationen üblichen Fragestellungen kritisch hinterfragen. In der bereits angesprochenen längerfristigen Wirkungsperspektive zeigt sich dann doch ein anderes Bildung, nämlich: Öffentliche Investitionen in nachfrageorientierte Weiterbildungsförderung für Individuen lohnen sich.
Wirkung von Bildungsgutscheinmodellen in Betrieben
Jene Weiterbildungsgutscheine, die an Individuen orientiert sind, werden überwiegend von Frauen in Anspruch genommen. Es wäre daher auch zu überprüfen, wieweit die Angleichung der Weiterbildungsteilnahme beider Geschlechter, die wir heute in allen Statistiken beobachten können, nicht auch auf das Instrument der Bildungsgutscheine zurückzuführen ist. Die an Betrieben ausgerichteten Gutscheinmodelle kommen mehrheitlich Männern zugute. Ob sich darin ein bekanntes Muster in der Weiterbildungsbeteiligung widerspiegelt? Betriebe ermöglichen mehr männlichen als weiblichen MitarbeiterInnen die Weiterbildung.
Zudem werden über Bildungsgutscheine für Individuen deutlich mehr Bildungsbenachteiligte erreicht als über Gutscheine für Betriebe.
Kaum ein weiterbildungsabstinenter Betrieb wird durch Gutscheinmodelle zu einem weiterbildenden Unternehmen, allerdings zeigt sich ein Verfestigungseffekt: Weiterbildungsaktive Betriebe bleiben es bzw. bauen die Weiterbildungsaktivitäten aus.
Zur Rolle von Beratung
Viele Individualförderungen sehen eine verpflichtende Beratung vor. In der Beratung werden zumeist die inhaltlichen und formellen Voraussetzungen überprüft. Die Beratung ist aber auch eine Orientierungshilfe für Bildungsungewohnte und für Betriebe, die nicht weiterbildungsaktiv sind. Die Beratung im Vorfeld von Individualförderungen ist aber auch als Instrument zu sehen, mit dem Missbrauch vorgebeugt werden kann. Und die Beratung hilft bei der Entscheidung, welche Bildungsangebote für die eigenen Ziele geeignet sein können.
Bildungsgutscheine, Individualförderungen und die Finanzierung der Erwachsenenbildung
Bildungsgutscheine sind ein Modell der nachfrageorientierten Förderung, das die Wahlmöglichkeiten der erwachsenen Lernenden erweitert. Im Idealfall ist das Modell inhaltlich und in Bezug auf die Zielgruppe offen, es unterstützt damit einen breiten und nicht-stigmatisierten Zugang. Dass es dabei positive Effekte für Bildungsbenachteiligte geben kann, zeigt der Genfer Bildungsgutschein. Die Autonomie der Lernenden wird berücksichtigt und gestärkt, sie können wählen, ob sie eine allgemeine oder eine berufsorientierte Weiterbildung machen wollen.
Bildungsgutscheinmodelle alleine eignen sich nicht für die Erreichbarkeit von sogenannten Risikogruppen und für die Sicherstellung ihres Verbleibes in der Erwachsenenbildung. Dazu ist ein Bündel an Maßnahmen erforderlich. Eine davon ist die bewährte aufsuchende Bildungsarbeit, die personal- und kostenintensiv ist. Mehrere vorangehende und begleitende Aktivitäten sind notwendig, zudem ist eine mittel- bis langfristige Perspektive zu entwickeln und umzusetzen, die sowohl die Ansprache benachteiligter AdressatInnen ermöglicht als auch ihren Verbleib in der Erwachsenenbildung sicherstellt.
Bildungsgutscheine entwickeln sich gut im Zusammenhang mit einer angebotsorientierten Förderung, die eine allgemeine, breite und auch leistbare Zugänglichkeit zum Weiterlernen ermöglicht. Bildungsgutscheine fördern die Vorziehung von Weiterbildung, wenn die zur Verfügung stehenden Geldmittel nicht ausreichen, und sie tragen zu einer vermehrten Weiterbildung bei, auch und gerade bei jenen Personen, die sich bereits weiterbilden.
Bildungsgutscheine können daher eine öffentlich bezuschusste Erwachsenenbildung nicht ersetzen, sie tragen aber zur Realisierung von Weiterbildung bei und komplettieren so die Angebotsorientierung.
Eine Förderung der Erwachsenenbildung durch die öffentliche Hand, die Strukturen stützt, ist die Grundlage für die Sicherstellung eines flächendeckenden Angebots für erwachsene Lernende. Individualförderungen und Bildungsgutscheine bauen darauf auf und erleichtern nachfrageseitig die Inanspruchnahme von Erwachsenenbildung und ermöglichen auch einen offenen und nicht-stigmatisierten Zugang zum Weiterlernen auch im Sinne eines „Rechts auf Weiterbildung“. //