Foto: Franz Svoboda
Uni Wien Rektor Sebastian Schütze, Bürgermeister Michael Ludwig und VHS Geschäftsführer Herbert Schweiger im Gespräch
Das 25-jährige Bestehen des Wissenschaftsprogramms „University Meets Public | VHS Science“ markiert einen wichtigen Meilenstein in der Bildungsgeschichte der Wiener Volkshochschulen. Mit über 125.000 Besucher*innen und mehr als 7.000 Vorträgen steht dieses Schnittstellenprojekt, entwickelt in Kooperation mit der Universität Wien, exemplarisch für den Erfolg in der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse an die breite Öffentlichkeit. Es blickt auf eine langjährige Geschichte zurück und hat sich als bedeutende Plattform für den Wissenstransfer etabliert. Ende November fand die Jubiläumsfeier im Planetarium Wien statt, eröffnet vom Wiener Bürgermeister Dr. Michael Ludwig und begleitet von einem Science Contest mit sechs aufstrebenden Jungwissenschafter*innen.
Wissenschaftsvermittlung in der Volksbildung: Von der University Extension bis zu VHS Science
Das Konzept der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse an die breite Öffentlichkeit reicht bis ins späte 19. Jahrhundert zurück, als die Wiener Volksbildungsvereine, inspiriert vom englischen Modell der „University Extension“, durch Einführung von „volkstümlichen Universitätskursen“ eine enge Verbindung mit der Universität anstrebten (Stifter: 1996, S. 159–190). Diese Bemühungen legten den Grundstein für die Etablierung des Wissenschaftsprinzips als zentrales Leitmotiv in der Wiener Volksbildungsarbeit. Die Zielsetzung, den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu fördern und Universitäten für die Öffentlichkeit zu öffnen, hat in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Um aktuelle Entwicklungen oder Krisen in ihrer Komplexität zu verstehen und ihnen entgegenzuwirken, ist Wissenschaft unumgänglich. Sie bietet Einblicke, prognostiziert mögliche Szenarien und zeigt Lösungsansätze. Vor diesem Hintergrund wurde Ende 1998 auf Initiative des damaligen Vorsitzenden des Verbandes Wiener Volksbildung und nunmehrigen Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig und Wolfgang Greisenegger, dem damaligen Rektor der Universität Wien, das Projekt „University Meets Public (UMP)“ ins Leben gerufen (Gornik & Tomaschek: 2011, S. 17–24) Ursprünglich gestartet mit einer Handvoll an Kursen und Vorträgen, verfolgte das Wissenschaftsprogramm von Anfang an das Ziel, den Zugang zur Wissenschaft und Forschung möglichst offen zu gestalten und Forschungseinrichtungen für die Stadtbevölkerung zu öffnen (Brugger: 2003, S. 2–6). Im Laufe der Zeit entwickelte sich UMP zu einer aktiven Bildungskooperation zwischen den Wiener Volkshochschulen und der Universität Wien, die mittlerweile fest im Regelbetrieb beider Institutionen verankert ist. In den Jahren 2012 bis 2014 fand schließlich eine Erweiterung des Programms zu „VHS Science“ statt, die einen umfassenden Designrelaunch und eine Neuausrichtung der Programmgestaltung mit sich brachte. Diese Neustrukturierung umfasste nicht nur die Einbindung zahlreicher weiterer Forschungseinrichtungen, sondern auch die Einführung von neuen, leicht zugänglichen und populären Formaten für die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte (Resch, Fritz &, Pointner: 2016, 09, 9S).
Heute deckt das VHS-Science-Programm eine Vielfalt von Themenbereichen ab, von Geistes- und Sozialwissenschaften bis zu Medizin und Naturwissenschaften, und zieht jährlich über 10.000 Besucher*innen an. Mehr als 100 Forschende der Universität Wien, MedUni Wien, BOKU, TU Wien, WU Wien und verschiedener Fachhochschulen beteiligen sich pro Jahr mittels unterschiedlicher Formate wie Vorträgen, Webinare, Workshops und Kursen und zeigen aktuelle Erkenntnisse, neue Forschungsergebnisse und State of the Art.
Jubiläumsveranstaltung im Planetarium Wien
Am 29. November 2023 feierte das Wissenschaftsprogramm sein 25-jähriges Bestehen im Planetarium Wien mit Eröffnungsansprachen von Bürgermeister Michael Ludwig, VHS-Geschäftsführer Herbert Schweiger und dem Rektor der Universität Wien, Sebastian Schütze. Die Jubiläumsfeier war jedoch nicht nur ein Rückblick auf ein Vierteljahrhundert Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, sondern bot auch eine Bühne für die nächste Generation von Wissenschafter*innen, die mit ihren innovativen Forschungsprojekten die Zukunft gestalten: In einem Science-Slam ähnlichen Format hatten sechs aufstrebende Wiener Jungforscher*innen die Gelegenheit, ihre Arbeiten in kurzen Beiträgen vorzustellen.
Die Kunst und Wissenschaft der Kreativität
„Was lässt mich bestehen, Dinge denken, Sätze sagen…“ – mit diesen Worten leitete Franz Roman Schmid seine Präsentation ein und eröffnete damit den Science Contest. Schmid, der am „Vienna Cognitive Science Hub“ und dem „Crone Neurocognition Lab“ der Universität Wien forscht, versucht die neurobiologischen Grundlagen der Kreativität zu ergründen. Sein unkonventioneller Weg in die Forschung führte von der Hotelfachschule über die Linguistik zu den Neurowissenschaften. Er untersucht, welche Mechanismen im Gehirn es uns ermöglichen, kreativ zu denken und zu handeln, sich an neue Situationen anzupassen und kognitive Flexibilität zu zeigen. Dazu nutzt er Methoden wie die Ultraschall Neurostimulation, mit der er versucht, die Aktivität in spezifischen Gehirnregionen modulieren und zu beobachten, ob dies Veränderungen im kreativen Verhalten nach sich zieht. Zusätzlich verwendet seine Forschungsgruppe die sogenannte funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), um die Gehirnprozesse detailliert nachzuvollziehen. Diese Herangehensweise ermöglicht tiefere Einblicke in das Verständnis der Kreativität. Franz Roman Schmids Arbeit ist Teil des Projekts „Unlocking the Muse“, das den Zusammenhang zwischen Kreativität und Parkinson untersucht. Seine Forschung könnte somit im Optimalfall nicht nur theoretische, sondern auch klinische Relevanz und Anwendungsmöglichkeiten bieten.
Der Wald als dreidimensionales Puzzle
Andreas Tockner, von der Forschungsgruppe Waldwachstum an der BOKU, machte mit dem Publikum eine Exkursion in den Wald. Sein Fokus liegt auf dem Vermessen von Wäldern mittels 3D-Laserscannern. In wissenschaftlichen Studien ist personengetragenes Laserscanning mittlerweile bereits ein Standardwerkzeug geworden, mit welchem in kurzer Zeit zuverlässige und hochauflösende Daten gewonnen werden können. Der 3D-Laserscanner sendet hierbei einen Laserstrahl aus, der von Stämmen, Ästen, Blättern und anderen Elementen im Wald reflektiert wird. Die zurückkommenden Strahlen werden von der Empfangsoptik des Scanners aufgenommen, um ein dreidimensionales Bild zu erstellen, sozusagen einen „digitalen Zwilling des Waldes“. Die einzelnen Bäume werden dabei automatisch entdeckt und können für Anwendungen in der Waldinventur, der Holzernteplanung oder zur Wald-Biomasseberechnung herangezogen werden. Dies stellt einen wichtigen Schritt in der Automatisierung und zur Digitalisierung des Informationsflusses in der Forstwirtschaft dar. Andreas Tockners Begeisterung geht über die technische Seite hinaus; er sieht in seiner Arbeit eine Synthese verschiedener Disziplinen – IT, Forstwirtschaft, Holzwirtschaft und Landwirtschaft. Diese interdisziplinäre Herangehensweise ermöglicht es, neue Anwendungen und Methoden zu entwickeln.
Innovationen für das Gemeinwohl
Sophie Quach, Doktorandin am Institut für Entrepreneurship und Innovation der WU Wien, zeigte in kurzweiligen sechs Minuten ein unterschätztes Phänomen auf: die User Innovationen. In diesem Bereich sind es die Nutzer*innen selbst – und nicht die Hersteller*innen –, die als Quelle neuer Produkte und Dienstleistungen fungieren. Diese „User Innovators“ sind Individuen, die intrinsisch motiviert sind, ein Problem zu lösen und dabei Innovationen zu ihrem eigenen Vorteil entwickeln. Beispiele für solche User Innovationen sind das World Wide Web, die Geschirrspülmaschine oder auch Wikipedia. In ihrer Dissertation mit dem Titel „Governing the Innovation Commons“ untersucht Quach, wie Individuen und Unternehmen gemeinsam Innovationen vorantreiben können. Ein theoretisches Modell, das sie derzeit empirisch testet, liegt im medizinischen Bereich: Patient*innen und Angehörige schließen sich zusammen, um gemeinsam Lösungen zu finden, die ihre Krankheiten erleichtern oder Leben sichern. Quach betrachtet ihre Forschung als Mittel, in der heutigen Informationsflut wesentliche Zusammenhänge zu erfassen und zum Gemeinwohl beizutragen. Sie hebt die Bedeutung von Kollaboration und gemeinschaftlichem Engagement für Innovationen hervor, was in unserer vernetzten Welt zunehmend wichtig wird.
Die Geheimnisse des Universums entschlüsseln
Foto: Franz Svoboda
Astrophysikerin Christine Ackerl konnte mit ihrem Galaxiendate Publikum und Jury uberzeugen
Die nächste Präsentation widmete sich einem Thema tausende Lichtjahre von uns entfernt: Christine Ackerl ist Mitglied der Forschungsgruppe „Dynamik von Stellaren Systemen“ am Institut für Astrophysik der Universität Wien. Die Gruppe beschäftigt sich mit großen Systemen im Weltall, wie etwa Galaxien und Kugelsternhaufen. Galaxien sind im Wesentlichen gigantische Ansammlungen von Himmelskörpern, Planeten, Monden, Sternen und Asteroiden. Ein Großteil der Projekte der Forschungsgruppe konzentriert sich darauf, in die Vergangenheit von Galaxien zu blicken. In ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeit legt Ackerl den Fokus darauf, warum bestimmte Arten von Sternen in spezifischen Galaxien zu finden sind und wie diese verschiedenen Sternpopulationen Aufschluss über die oft dramatische Geschichte dieser Galaxien geben können. Die Analysen basieren hierbei rein auf der Beobachtung des ausgestrahlten Lichts. Ackerl meint dazu: „Das Spannende an meiner Forschung ist, dass ich wirkliche Detektivarbeit leiste. Ich kann mich nicht einfach in ein Raumschiff setzen, zur nächsten Galaxie fliegen und dort alles vermessen. Das kann man sich so vorstellen, als würde man versuchen, ein Verbrechen aufzuklären und alles, was man an Hilfsmitteln hat, ist ein Foto vom Tatort. Da muss man ganz schön um die Ecke denken und kreativ sein.“
Auf der Suche nach neuen Entdeckungen in der Pharmazie
Von den Weiten der Astrophysik führte die folgende Wissenschafterin in die mikroskopisch kleine Welt innerhalb unserer Zellen: Marie José Abi Saad forscht am Department für Pharmazeutische Chemie der Uni Wien an der Entdeckung neuer Medikamente mit Hilfe sogenannter NMR-Methoden (Nuclear Magnetic Resonance – Kernspinresonanz). Die NMR-Methode arbeitet wie ein Molekül-Scanner: Ein Gerät richtet mittels eines starken Magnetfelds und Radiowellen die Atome einer Probe aus. Wenn die Radiowellen stoppen, senden die Atome Signale, die Forscher*innen helfen, die Struktur von komplexen Molekülen wie Proteinen zu erkennen. Marie José Abi Saad versucht mit Hilfe der NMR-Spektroskopie die molekulare Struktur eines Proteins von SARS-CoV-2 zu entschlüsseln und potenzielle Angriffspunkte für Medikamente zu finden, die spezifisch die Virusvermehrung hemmen können.
Sprache und Philosophie in der Linguistik
Sandra Radinger zeigte im letzten Beitrag ihre innovative Forschungsarbeit am Schnittpunkt von Sprache und Philosophie. Ihre Dissertation am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Uni Wien beschäftigte sich mit der philosophischen Praxis in der angewandten Linguistik und der Erforschung von Englisch als Lingua Franca. Mit dem von Radinger ins Leben gerufene partizipativen Projekt „Lived Languages“ stellte sie die Frage nach gelungener Kommunikation in einer sprachlich diversen und globalisierten Welt. Ziel war, die Rolle der Sprache im menschlichen Zusammenleben tiefgehend zu erforschen und zu verstehen, wie Sprache unser Leben beeinflusst und formt. Durch die Einbindung von Menschen aus unterschiedlichsten Kontexten in einer Vielzahl von Formaten – von Online-Umfragen über Folgeinterviews bis hin zu philosophischen Gruppen, die sich mit Spracherleben und der Frage nach dem guten Leben beschäftigen – hat das Projekt vielschichtige Einblicke in die Komplexität und Bedeutung der Sprache im Alltag gewonnen. Ihre Forschung setzt Sandra Radinger derzeit an der Universität Graz zum Thema Philosophische Praxis im Bereich Palliative Care und Hospizarbeit fort.
Die Teilnehmenden des Science Contests zeigten eindrucksvoll, wie effektive Wissenschaftskommunikation funktionieren kann. Die Jungforscher*innen stellten ihre wissenschaftlichen Themen, von einem „Corona Shake“ über „datende Galaxien“ bis hin zu „sprechenden Fröschen“, auf niederschwellige und unterhaltsame Weise dar. Dadurch wurden komplexe Inhalte sowohl verständlich als auch abwechslungsreich vermittelt. Nach einem kombinierten Publikums- und Juryvoting ging schließlich die Astrophysikerin Christine Ackerl als Siegerin des mit Euro 1000,- dotierten Science Contests hervor. Die Vielfalt und Interdisziplinarität der vorgestellten Forschungsarbeiten unterstrichen eindrucksvoll, dass Wissenschaft nicht nur neue Perspektiven eröffnet, sondern auch praktische Anwendung findet. Die Veranstaltung hob das enorme Potenzial der nächsten Forschergeneration hervor und zeigte, wie deren Arbeit Wissenschaft und Gesellschaft gleichermaßen bereichern kann. In diesem Kontext spielen Wissenschaftskommunikations-Projekte wie das VHS-Science-Programm eine entscheidende Rolle. Sie agieren an der wichtigen Schnittstelle zwischen der breiten Öffentlichkeit und der Universität als entscheidende Vermittler und dienen als Katalysator für den Wissenstransfer. Indem es eine Plattform bietet, auf der Wissenschafter*innen ihre Forschung einem nicht-fachlichen Publikum näherbringen können, trägt „VHS Science“ wesentlich dazu bei, das allgemeine Verständnis und Interesse an der Wissenschaft zu erhöhen und einen fruchtbaren Boden für eine informierte öffentliche Diskussion zu schaffen, was gerade vor dem Hintergrund wachsender globaler Herausforderungen essenziell ist. Bildungsorganisationen müssen heute aktiver denn je die Rolle übernehmen, den Diskurs über Wissenschaft in der Gesellschaft nachhaltig zu fördern und zu prägen. //
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