In den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt die kapitalistische Ökonomie durchgehend das gesellschaftliche Leben. Markt- und Steigerungslogik sowie Leistungsorientierung durchdringen alle Lebensbereiche. Wir leben in Zeiten, in denen Regierungen Angst verbreiten, sich vom globalisierten Kapital abhängig und Menschen zum Objekt der Wirtschaftsverhältnisse machen. Wir sind mit einem Schwinden des solidarischen Zusammenhalts und einer Zunahme der systematischen Aushöhlung humanistischer und sozialer Werte konfrontiert. Verantwortungen werden individualisiert und zunehmende Konkurrenzen prägen das soziale Leben und damit auch die Bedingungen von Bildung, Lernen und Lehren.
Auf Basis der skizzierten Ausgangslage benennen wir unser Grundverständnis kritischer Erwachsenenbildung:
1. Wir teilen eine Grundhaltung, die die Menschen in den Mittelpunkt stellt und statt Ausgrenzung und Konkurrenz, gemeinschaftliches Lernen und Handeln sowie globale Solidarität ermöglicht.
2. Wir stehen für eine Erwachsenenbildung, die der Entfaltung der kritischen Potenziale aller und der Entwicklung einer solidarischen Gesellschaft dient.
3. Wir vertreten eine Erwachsenenbildung, die Menschen befähigt, das eigene Leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst zu gestalten.
4. Wir kämpfen für eine Erwachsenenbildung, die kreative, kulturelle und politische Bildung vorantreibt und nicht an ökonomischer Verwertbarkeit ausgerichtet ist.
Im Sinne einer so verstandenen kritischen Erwachsenenbildung orientieren wir uns an handlungsleitenden Prinzipien:
5. Wir verfolgen die Idee einer Erwachsenenbildung, die Menschen ermutigt, die Zumutungen gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu erkennen, zu hinterfragen, bewusst Stellung zu nehmen und sich zur Wehr zu setzen. Dazu braucht es Angebote zur Entwicklung von Selbst- und Mitbestimmung sowie reflexive und gesellschaftskritische Bildungsinhalte, die Zusammenhänge offenlegen und global solidarisches Denken und Handeln stärken.
6. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Demokratie und gutem Leben für alle leisten, dazu gehört insbesondere der aktive Einsatz für gesellschaftlich benachteiligte Menschen und Gruppen. Beispielsweise sind (selbst-)reflexive Auseinandersetzungen mit geschlechterhierarchisch und rassistisch begründeten Machtverhältnissen zentrale Elemente einer kritischen Erwachsenenbildung.
7. Wir treten für eine Verschränkung von Wissenschaft und Praxis ein, um die Autonomie des Handlungsfeldes Erwachsenenbildung insgesamt zu sichern und um die notwendige Schlagkraft zur Durchsetzung unserer Anliegen zu erreichen.
8. Wir gehen davon aus, dass kritische Erwachsenenbildung mit Unsicherheiten, Diskontinuitäten und Widersprüchen umgehen und diese aushalten muss. Die darin liegenden Risse und Brüche eröffnen Denk- und Handlungsräume für notwendige Visionen, Utopien und Alternativen, die es der Erwachsenenbildung ermöglichen, sich den immer wieder an die Verhältnisse anpassenden Herrschaftsstrategien zu widersetzen.
Als kritische Erwachsenenbildung beziehen wir Stellung:
9. Wir wehren uns dagegen, uns als verlängerter Arm staatlicher Repressionen missbrauchen zu lassen. Individueller Bildungserfolg oder Nicht-Erfolg darf nicht Grundlage von staatlichen Sanktionen sein.
10. Wir wehren uns gegen jede Art des Aushungerns kritischer Bildung, aktuell insbesondere gegen die finanziellen Kürzungen feministischer und genderreflektierter Bildungs- und Forschungsarbeit.
11. Wir werden sichtbar und laut sein und einen Anstoß für eine „Bildungsbewegung“ geben, die der neoliberalen Aushöhlung von Bildungsinhalten und der Reduktion von Bildung auf eine Ware kraftvoll entgegensteht.
Wer immer diesem Manifest zustimmen kann und es mittragen möchte, möge es sich zu eigen machen und verbreiten. //
Dieses Manifest wurde im Rahmen der 10. Veranstaltung der Reihe „The dark side of adult education“ angestoßen und in weiterer Folge in einer Aktionsgruppe fertig ausformuliert.
St. Wolfgang, Wien und Graz, Mai 2019
Kritische Erwachsenenbildung:
http://kritische-eb.at/wordpress/
hohle Phrasen. Grausam mitanzusehen, wie der Kapitalismus die Wissenschaft zur Strecke bringt, barbarisch, wenn es sich im Namen der Kritik vollendet.