NACH RUND ACHT MONATEN ist sie nun veröffentlicht: die „Nationale Weiterbildungsstrategie“2 Ministerien loben sich damit, dass dies erstmals eine nationale Strategie für diesen Bereich sei. Man mag darüber diskutieren, ob dem anhand von „Konzertierter Aktion Weiterbildung“3 und ähnlichen Initiativen in der Vergangenheit tatsächlich so ist. Das Hamsterrad der Beschleunigung dreht sich und das Gestern ist auch in Ministerien schnell vergessen.
Aber ist das wirklich eine Strategie, die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gestern vorgelegt haben? Der erste Eindruck ist eher, dass man in einem Konvolut liest. Es wirkt so, als habe man bestehende Aktivitäten mit länger geplanten Initiativen verbunden und auf die Schnelle mit der Überschrift „Strategie“ etikettiert.
“It’s not the economy, stupid!”
Allerdings würde Konvolut meinen, dass so ziemlich alles zusammengefasst wurde. Dem ist nicht so. Es fällt auf, dass die nicht-berufliche, allgemeine Erwachsenen- und Weiterbildung in der „Nationalen Weiterbildungsstrategie“ komplett ausgeblendet wurde. In den 1990er Jahren wurden Wahlkämpfe mit dem Slogan “It’s the economy, stupid!” gewonnen. Man ist mit Blick auf die Gegenwart versucht, den selbsterklärten Weiterbildungsstrategen zuzurufen: “It’s not the economy, stupid!”
Nur mit Ökonomie verliert man heute Wahlen, und das ist auch gut so. Wo kommt Bildung gegen politischen Extremismus vor? Ökologische Nachhaltigkeit? Gesundheitsbildung in einer immer stressigeren Welt? Medienbildung über digitale Anpassung hinaus? Intergeneratives Lernen? (Inter-)Kulturelle Bildung? Ist es zeitgemäß, Weiterbildung so eng zu denken und vor allem fördern zu wollen?
Man kann noch verstehen, dass ein Arbeitsministerium und Sozialpartner solche Fragen nicht unbedingt im Blick haben, aber dass ein Bildungsministerium Bildung derart begreift und auch Gewerkschaften Weiterbildung nicht mehr so breit denken?
Sonntagsreden ohne Resonanz
Sonntagsreden zum 100-jährigen Jubiläum der Volkshochschulen wie neulich in der Paulskirche, zu Ganzheitlichkeit oder zum Erhalt der Demokratie haben in der „Nationalen Weiterbildungsstrategie“ offensichtlich keine Resonanz erzeugt. Was dazu führt, dass die Strategie mit ihrer Weiterbildungsmonokultur und ihrem bildungsfernen Ökonomismus schon bei ihrem Erscheinen altmodisch wirkt.
Die allgemeine Weiterbildung und die Volkshochschulen gehören zu den klaren Verlierern einer Strategie, die mehr unsichtbar macht als sichtbar. Auch Forschungsbedarf wird anscheinend relativ wenig beim Thema Weiterbildungskultur gesehen. Die beiden beteiligten Ministerien zitieren und berücksichtigen primär die ihnen nahestehenden Forschungsinstitute BIBB und IAB.
Die Gewinner scheinen zumeist diejenigen zu sein, die bei den Sitzungen zur Vorbereitung der Strategie mit am Tisch gesessen haben – inklusive den ihnen Nahestehenden. So sollen die Kammern indirekt ihre Meisterkurse kofinanziert bekommen. Die Gewerkschaften erhalten der Strategie zufolge Beratungs- und Mentorenmaßnahmen in Betrieben (weiter-)gefördert. Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist sehr präsent im Papier.
Ein Schleier allgemeiner Begrifflichkeiten
Was die Bürgerinnen und Bürger sich wünschen, interessiert offenbar weniger. Wer in den vergangenen Dekaden arbeitslos war, wird sich begrenzt freuen, nun ausgerechnet in der BA zu Berufen im digitalen Wandel beraten zu werden. Die CDU-Initiative MILLA wird zur Plattformidee reduziert. Andere Akteure und das Personal der Weiterbildung bleiben hinter einem Schleier allgemeiner Begrifflichkeiten ungenannt und ebenfalls verborgen. So schafft man nicht mehr Transparenz, so entsteht keine Strategie, sondern man versorgt vorrangig einen kleinen Kreis einflussreicher Stakeholder.
Wie geht es weiter? Was ist trotz der Kritik positiv? Konvolute können auch gut sein, wenn sie Dinge zusammenbringen. Es wäre womöglich sogar naiv, in einer komplexen Welt die große Strategie zu erwarten. Masterpläne mögen in Planwirtschaft funktionieren, aber kaum in der hochdynamischen Welt mit ihren Disruptionen und Transformationen, die viele Prognosen von heute zum Altpapier von morgen werden lassen.
Vielleicht wird mit der „Nationalen Strategie“ ein Prozess der besseren Kooperation begonnen? Vielleicht zeigt sich gerade das Bildungsministerium bereit, auch die nicht-berufliche Weiterbildung mitzudenken und zu fördern? Und dies in Abstimmung mit den Bundesländern?
Es kommt Arbeit auf uns zu
Es sollen ein „Gremium“ und „Themenlabore“ geben. Wird hier nun endlich breiter beteiligt, oder reproduziert sich der bisher eher enge Kreis von Sozialpartnern und Ministerien dort erneut? Lässt sich inhaltsstärker an die eher nebulösen Sätze der Strategie anknüpfen, etwa an diesen: „Darüber hinaus kann die Nationale Weiterbildungsstrategie für andere Regelungsbereiche, z. B. Gesetzgebungsverfahren, Impulse geben, ohne deren Ergebnissen vorzugreifen?“
Die OECD soll laut Strategie einen Länderbericht zu beruflicher Weiterbildung erstellen. Wo wird ein Länderbericht zur nicht-beruflichen Weiterbildung entstehen? Kann man ein zeitgemäß breites Bildungsverständnis und die Förderung für Bürgerinnen und Bürger erwarten, die nicht nur als Beschäftigte interessieren sollten?
Es kommt Arbeit auf uns zu. Es gilt jetzt, nicht nur berechtigte Kritik zu üben. Es geht darum, die Bedürfnisse der Erwachsenenbildungs- und Weiterbildungslandschaft in ihrer Vielfalt und in größerer Lebensnähe öffentlich sichtbarer zu machen. Vielleicht öffnet die „Nationale Weiterbildungsstrategie“ dann doch Türen zu mehr wirklicher Beteiligung und einer Weiterbildungspolitik, die mehr ist als die Förderung einer Monokultur. //
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