Frauenbewegung erinnern
(DAS ARGUMENT 308, 56. Jahrgang, Heft 3/2014 ) Frauen, die bewegen Die Geschichte der Frauenbewegung

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Die Geschichtsschreibung war jahrzehntelang männlich geprägt, Frauen wurden selten bis gar nicht erwähnt, auch wenn diese einen großen Beitrag zu historischen Ereignissen geleistet hatten. Seit den 1960er-Jahren versuchen Feministinnen, diesen Missstand zu beheben und Frauen sichtbar zu machen. Einen großen Teil nimmt hier die Frauenbewegung ein. Diese Frauenbewegung mit all ihren Facetten ist Gegenstand der 308. Ausgabe von „Das Argument“ mit dem Titel „Frauenbewegung erinnern“.

„Frauenbewegungsgeschichte ist ein Akt des Widerstands gegen das Vergessen keineswegs uniformer, sondern vielfältiger, in sich zerrissener, zerstreuter, zankbereiter zusammen handelnder Energie- und Kraftbündel allerorten allezeit, die sich weigern ihr Leben lang unterworfen zu sein: den >Anderen<, eigenen Schwächen, Erwartungshaltungen, Repression, Gewalt, Hunger, Zerstörung“ (S. 317) – so beschreibt Sabine Plonz im Editorial den Zugang zur Geschichte der Frauenbewegung. Das Heft soll ein Manifest sein „gegen das Vergessen, gegen das Überlassen und Abwenden, für die Aneignung und Weitererzählung der Geschichte, damit aus Verstandenem und Verfehltem, aus Verwirklichtem und Unverwirklichtem für die Zukunft gelernt werden kann.“ (S. 318).

Die Redakteurinnen setzen sich also mit der Frauengeschichte und ihrer Rezeption auseinander, stellen grenzüberschreitend Fragen an Zeuginnen politischer Kämpfe, ziehen Ikonen zur Rechenschaft, evaluieren Erreichtes, aber auch Scheitern und blinde Flecken. Stellvertretend möchte ich auf einige Texte des Heftes genauer eingehen.

An Frauen erinnern

Einen besonderen Platz nimmt in diesem Heft Rossana Rossanda ein. Sabine Plonz schreibt dazu im Editorial: „Wir beginnen mit einem Beitrag dazu von Rossana Rossanda. Ihr widmen wir in Verbundenheit und Zugneigung dieses Heft. Wir beglückwünschen sie und uns zu einem 90-jährigen Leben, in dem sie für so viele eine Haltung und unbestechliche Denkkraft in den Dienst der Befreiung der Menschheit gestellt hat. Sie war in den großen Zeiten der Kommunistischen Partei Italiens aktiv, sie wurde aus der Partei ausgeschlossen und blieb doch Kommunistin. Ihr ganzes Leben hat sie die Brücke zu den nächsten Generationen geschlagen, wie wir es in ihrem Sinn jetzt wieder versuchen“. (S. 317).

Rossanda schreibt in ihrem Beitrag „Versuch einer Posthumen Widergutmachung an den Frauen von 1789“, wie heutzutage der Frauen der Revolution von 1789 gedacht wird. Das Resümee ihrer Analyse ist wenig positiv. So schreibt sie beispielsweise: „Zum zweihundertsten Jahrestag stellen sich die Verhältnisse anders dar. Die Frauen haben in Untersuchungen zur Französischen Revolution das Wort ergriffen und über ihre revolutionären Vorfahrinnen geschrieben. Überzeugend? Ich weiß es nicht. Und ich spreche von dem, was in Frankreich erschienen ist, denn die italienischen Verlage haben bestenfalls die großen Werke neu aufgelegt oder einige Kuriositäten übersetzt.“ (S. 319).

Weiters kritisiert sie, dass an viele Frauen erst gar nicht erinnert wird und diese wohl für immer namenlos bleiben werden. „Im Dictionnaire critique de la Revolution francaise (von Furet und Osouf, Paris 1988) tauchen im Stichwortregister nur zwei Frauen auf: Marie Antoinette und Madam de Stael, die Feindin und außenstehende Beobachterin. Diejenigen, die auf seiten der Revolution standen – Jakobinerinnen, Girondistinnen, Sansculotten oder »Enragées« –, werden nur wenige Male im Namensregister genannt (Olympe de Gouges gar nicht), und im Sachregister verweist das Stichwort »Frau auf Code civil, Entchristlichung, Gleichheit, Enragés, Marie Antoinette, Sansculotten, Wahlrecht. Die Frauenclubs erscheinen nicht mal als eigenständiger Unterpunkt.“ (S. 319).

Sie führt das auf ein Paradox der Ideen- und der Sozialgeschichte zurück.

„Die Ideengeschichte aber, die heute die Oberhand gewinnt – die begeisternde Geschichte der Gründungsthesen der so genannten Volks-Souveränität und der Grundsätze der Demokratie –, scheint von diesen Massenbewegungen >angetrieben< zu werden, doch registriert sie sie nicht, es sei denn als Hintergrundgeräusch, als Moment des Informellen, des gewalttätigen Chaos.“ (S. 320) .

In diesem Text fokussiert Rossanda zwar nur auf die französische Literatur und Geschichtsaufarbeitung, dennoch wird deutlich, wieviel Arbeit noch vor uns liegt. Sie zeigt, wie wichtig die Erinnerung an die Frauenbewegung ist und bringt die Thematik des Heftes gleich im ersten Beitrag auf den Punkt.

Wie Frauengeschichte schreiben?

Gleich zwei Beiträge werden von Frigga Haug gestaltet. Der erste Beitrag „Arbeit an einer Kultur in der Zerrissenheit – eine internationale Umfrage“ handelt von der inhaltlichen Vorbereitung auf einen internationalen Kongress in Berlin (22. bis 23. März 2015). Dafür wurden an für Vorträge angemeldete Personen die Frage gestellt, „welche Desiderate sie für eine Geschichtsschreibung über Frauenbewegung festhalten wollen“. (S. 325). Dieser Text bietet präzise Antworten auf verschiedene Fragen: Welche Maßstäbe können wir für die Geschichte der Frauenbewegung entwickeln? Was an der Bewegung wollen wir festhalten und tradieren, und warum? Welche Rolle spielt der sozialistische Standpunkt in der Geschichte der Frauenbewegung, und wie ist er aufzuheben?

Auch unsere Geschichte findet innerhalb kapitalistischer Produktionsverhältnisse statt. Wie wollen wir die Kraftlinien von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen und die entsprechenden Widersprüche aufnehmen, und welche Rolle spielten sie für die Frauenbewegung und ihre Geschichtsschreibung?

Inwieweit spielen theoretische Aspekte in der Geschichte der Frauenbewegung eine Rolle: Erkenntnis als Verallgemeinerung?

Was ist die Rolle von „organischen Intellektuellen“ in der Geschichte der Frauenbewegung?

Als sozialistische feministische Bewegung befand man sich von Anfang an in einem Spannungsverhältnis zur Arbeiterbewegung. Konnte die anfängliche Blockierung produktiv gemacht werden, um eine gemeinsame Perspektive zu entwickeln? Wie lässt sich überhaupt Streit um die Bewegungsgeschichte produktiv machen, um daraus zu lernen? Wie lässt sich die Geschichte der Frauenbewegung auch für Unbeteiligte und die nächste Generation erschließen, sodass sie für diese biographisch relevant wird? Was können wir tun, damit diese sich ebenfalls als Teil solcher Kämpfe, Niederlagen und Siege begreifen? Lässt sich Frauenbewegungsgeschichte als kulturelles Kapital nutzen? (S. 325–326).

In ihrem zweiten Aufsatz „Vom Schicksal zur Geschichte“ fragt sich Frigga Haug „Wie Bewegungsgeschichte schreiben?“

Hierbei stellt sie sich die Frage: „Können wir Maßstäbe entwickeln, die allgemein gültig sind oder doch zumindest für unsere Zwecke einer kritischen Frauen-Geschichtsschreibung Geltung haben?“ (S. 341).

Für die Beantwortung dieser Frage bezieht sie sich auf Nancy Fraser. „Für das Vorhaben, gegen das Vergessen und Verschweigen an Überlieferungen zu schreiten, nehme ich mir stellvertretend Nancy Frasers jüngstes Buch vor, in dem sie die >>Schicksale des Feminismus vom staatlich-regulierten Kapitalismus zur neoliberalen Krise<< in eine feministische Zukunft nachzeichnet. Ihre zentrale Aussage ist, dass die Frauenbewegung aus der Ära des Sozialdemokratismus zu Anerkennungs- und Identitätspolitik fortschritt, bis sie im Neoliberalismus die kapitalistische Krise als Auftreffstruktur ihrer Politik neu fassen musste.“ (S. 314).

Haug sieht bei Nancy Fraser ein allgemeines Problem bezüglich der Geschichtsschreibung. Meistens sind es selbst Aktivistinnen, die die feministische Bewegung dokumentieren. Sie stellt sich hier die Frage, wie man als Aktivistin schreiben kann, ohne selbst im Zentrum zu stehen und die Geschichte (unabsichtlich oder absichtlich) in eine Richtung zu lenken. „Sie ist Zeitzeugin und zeigt die Dokumente ihrer eigenen Eingriffe in das Geschehen. Diese sind gut und nützlich zu lesen, denn Fraser schreibt in klaren und präzisen Worten, wenngleich man sich bei den vielen bestimmten Urteilen schon Raum für Zweifel und Bedenken gewünscht hätte und zumeist eine etwas literarische Sprache. Das Merkwürdige ist aber, dass in diesem Geschichtslehrbuch sich jetzt der gesamte Prozess der historischen Frauenbewegung wie eine Erfindung von Nancy Fraser liest, nicht wie eine Entwicklung im Streit, mit vielfältigen Möglichkeiten und Akteurinnen. (S. 342).

Im Folgenden erarbeitet Haug Lösungsvorschläge zu diesem überaus spannenden Diskussionspunkt. Sie analysiert Frasers Geschichtsschreibung und zerteilt diese in Akte, wo es unter anderem um die Wende ins Gezähmte geht: „[…] von der Verteilung der Anerkennung, zu Identitätspolitik. Es geht um die 1990er Jahre“ (S. 345) bis hin zur Emanzipation, den neuesten Aufsatz von 2010. (S. 354).

Haug zieht positive Schlüsse aus dem Werk Frasers: „Denn was sie bewirkte, ist ohne Zweifel, dass sich aus der Lähmung der 1990er-Jahre nach dem Untergang der sozialistischen Länder die vielen aufgebrachten Feministinnen wieder aufmachen, herausgefordert, ihre Einseitigkeiten nicht stehen zu lassen, das Vergessene einzuklagen, und zu sehen, dass sie ihr Geschick in eigene Hände nehmen müssen, kurz in die Geschichte selbstbewusst wieder eintreten.“ (S. 355).

Über den Tellerrand hinweg!

Auch wenn sich die meisten Texte in diesem Heft mit der Geschichtsschreibung des westlichen Feminismus und der europäischen Frauenbewegung – besonders im Hinblick auf die Französische Revolution – auseinandersetzen, ist lobend zu erwähnen, dass hier auch ein postkolonialer Beitrag Platz gefunden hat. Verónica Schild tut dies in ihrem Beitrag „Die Spezifik lateinamerikanischer Feminismen im Kontext neoliberaler Regulierung. – Beunruhigende Divergenzen – Produktive Ambivalenzen.“

Schild beschreibt in ihrem Beitrag die gegenwärtige Situation der Frauenbewegung in Lateinamerika. Laut Schild hat in Lateinamerika der Kapitalismus verheerende Auswirkungen auf die Bevölkerung und führt, laut kritischen Feministinnen, zu ambivalenten Erfolgen in Sachen Geschlechtergerechtigkeit. Es wird eine Konvergenz zwischen bestimmten Feminismen und dem neoliberalen Kapitalismus befürchtet. Sie schreibt: „Der klar in den USA verwurzelte, aber international ausstrahlende »Second-Wave-Feminismus« liefert, wie kürzlich von Nancy Fraser vermutete, »unabsichtlich« ein wichtiges Element der Rechtfertigung des neoliberalen Kapitalismus. Fragen materieller Gerechtigkeit seien zu Gunsten der Anerkennung von »Differenz« vernachlässigt worden.“ (S. 356).

Um diese vermutete Konvergenz zu untersuchen, beschäftigt sich Schild in dieser Analyse vor allem mit ihrem Heimatland Chile. Sie diskutiert klar und verständlich unter anderem die gegenwärtigen lateinamerikanischen Feminismen und neoliberalen kulturellen Projekte.

Sie fragt sich, wie und warum Feministinnen in das Modell des Neoliberalismus verwickelt worden sind? „Der Übergang vom Autoritarismus zu einer begrenzten Demokratiereform und Modernisierung ermöglichten es einigen Feministinnen, dominierende Stimme des Feminismus sowie legitime Gesprächspartnerinnen für Regierung und transnationale Behörden zu werden, während andere marginalisiert oder mundtot gemacht wurden. […] In der pragmatischen Anpassung an liberaldemokratische Regime werden Ideale und Praktiken des zeitgenössischen Feminismus der Globalisierung des neoliberalen Kapitalismus dienstbar gemacht.“ (S. 363)

Sie fordert eine kritische feministische Theorie als notwendigen trans-kulturellen Dialog. Schild lässt uns hier nachdenkend zurück, denn sie endet mit einer Frage, auf die wir die Antwort erst finden müssen: „Unsere Herausforderung bleibt: Wie bewegen wir uns jenseits eines ethnozentrischen, feministischen Denkens hin zu einer feministischen Kritik, die transnational relevant ist?“ (S. 367)

Fazit

Wie im Editorial von Sabine Plonz angekündigt, wurde das Thema „Frauenbewegung erinnern“ in den Fokus gerückt. Die Thematik wird von vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet – vom Status quo und der Kritik daran (wie bei Rossanda), über mögliche Ansätze, wie Frauengeschichte besser dokumentiert werden könnte (Frigga Haug und Verónica Schild), bis hin zu aktiven Gestaltungsmöglichkeiten, wie im Beitrag von Ursula Schröter: „Das Wandern ist der Frauen Lust? Frauengeschichte ausstellen“.

Mit namhaften Autorinnen regt das Heft zum Nachdenken und Diskutieren an und erinnert uns daran, dass Frauengeschichte nicht vergessen werden darf. //

Heidorn, Nina (2015): Frauenbewegung erinnern. (DAS ARGUMENT 308,  56. Jahrgang, Heft 3/2014 ) Frauen, die bewegen  Die Geschichte der Frauenbewegung. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. April 2015, Heft 255/66. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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