Bedürfnisse – ein Bedarf der Erwachsenenbildung?

Bedürfnisse – eine Begriffserklärung

Bevor man sich mit spezifischen Bedürfnistheorien auseinandersetzt und deren Einfluss auf die Erwachsenenbildung beleuchtet, ist es wichtig, den Begriff „Bedürfnis“ klar zu umschreiben. Laut dem Duden ist ein Bedürfnis:

  1. ein Wunsch, Verlangen nach etwas; Gefühl, jemandes, einer Sache zu bedürfen, jemanden, etwas nötig zu haben
  2. [materielle] Lebensnotwendigkeit; etwas, was jemand [unbedingt] zum Leben braucht.

Ein Bedürfnis ist zusammengefasst also der Wunsch bzw. das Verlangen, einem (realen oder empfundenen) Mangel Abhilfe zu schaffen. Wobei zu unterscheiden ist, ob der Mensch diesen Wunsch alleine, aus eigenem Antrieb befriedigen kann (wie z. B. das Bedürfnis zu essen) oder ob es um ein sogenanntes Kollektivbedürfnis geht (z. B. das Streben nach Sicherheit), welches nur von einer ganzen Gemeinschaft (wie z. B. der Familie) befriedigt werden kann. Der Ausdruck Bedürfnis spiegelt in der Psychologie zwei Sachverhalte wieder:

  1. Bedürfnis als Disposition: Vor allem in der Motivationspsychologie wird das Bedürfnis als relativ zeitstabiles Merkmal einer Person gesehen, dass die Neigung des Organismus, eine bestimmte Klasse von Zielen zu verfolgen, angibt. Das Bedürfnis wird also als Persönlichkeitseigenschaft gesehen und wird auch Motiv genannt.
  2. Bedürfnis als Zustand.

Die Bedürfnishierarchie nach Abraham Maslow

Ein Forscher, der mit seinem weithin bekannten und relativ simplen Modell der Hierarchie von Bedürfnissen auch Eingang in andere Wissenschaften wie z. B. der Wirtschaft und der Soziologie gefunden hat, ist Abraham Maslow. Er gilt als einer der wichtigsten Gründungsväter der humanistischen Psychologie, die im Kern dazu beitragen soll, dass sich gesunde, sich selbst verwirklichende und schöpferische Persönlichkeiten entfalten können. Maslow ging davon aus, dass der Mensch nicht wie in der Psychoanalyse formuliert durch niedere Triebe bestimmt wird, sondern durch ein angeborenes Wachstumspotenzial. Das höchste Ziel des Menschen sei es als sich selbst zu verwirklichen, was einer sehr optimistischen Sicht des Menschen entspricht. Maslows „neue“ Sicht auf den Menschen sowie Arbeiten von Charlotte Bühler und Carl Rogers bildeten die Grundlage für die humanistische Psychologie. Einen ähnlichen Ansatz bildet heute die positive Psychologie, die Themen wie Glück, Geborgenheit, Vertrauen, Verzeihen und Solidarität behandelt.

Wie kam Maslow nun zu seiner weithin bekannten Bedürfnishierarchie? Er studierte ausgewählte Persönlichkeiten (wie z. B. Albert Einstein oder Eleanor Roosevelt) mit bekannten und stabilen Profilen, schloss jedoch keine psychisch labilen Persönlichkeiten in seine Untersuchung ein. Dies ist freilich eine sehr fragwürdige Methode, da sie sich empirisch kaum überprüfen lässt. Maslow wusste um diesen Mangel, veröffentlichte seine Theorie jedoch trotz dieser Vorwürfe. Er selbst schreibt in „Motivation and Personality“ (Maslow: 1987, S. 150): „Diese Art Forschung ist an sich derart schwierig (…), dass wenn wir auf konventionelle, zuverlässige Daten warten müssten, wir für immer warten würden“.

Um den Begriff Selbstverwirklichung zu schärfen, stellte Maslow ein Kollektiv von 60 Menschen zusammen, das zum größten Teil aus historischen Persönlichkeiten bestand. Da diese nicht mehr selbst befragt werden konnten, musste auf Fremd- und Selbstzeugnisse zurückgegriffen werden. Eine einheitliche Auswertung war somit nicht möglich. Dies ist auch einer der größten Kritikpunkte an der Theorie Maslows.

Die Darstellung in Pyramidenform (siehe Abbildung 1) wird oft fälschlicherweise Maslow zugeschrieben, ist jedoch eine spätere Interpretation durch andere Autoren. Sie wird u.a. Werner Corell zugeschrieben. Die Darstellung der Bedürfnisse in der Pyramide verleitet zu einer sehr statischen Sicht – Maslow selbst beschrieb jedoch ein sehr dynamisches Modell, in welchem die Bedürfnisse ineinander übergehen.

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Abbildung 1 : Interpretation der Maslowschen Bedürfnishierarchie
Verfügbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Maslowsche_Bed%C3%BCrfnispyramide.png [15.12.2014]

Maslow stellt die Bedürfnisse in 5 Kategorien dar, beginnend bei den Grundbedürfnissen bis hin zu kognitiv-emotionalen Bedürfnissen. Nachfolgend ein kurzer Abriss der einzelnen Kategorien:

  1. Physiologische Bedürfnisse (auch Grund- oder Existenzbedürfnisse): hierunter werden Elementarbedürfnisse wie z. B. Hormone, Mineralien etc. verstanden, die der Körper selbst regulieren kann sowie Hunger, Durst, Sexualität.
  2. Sicherheitsbedürfnisse: Bedürfnis nach Sicherheit, Stabilität, Ordnung und Schutz.
  3. Soziale Bedürfnisse: Wunsch nach sozialen Zusammenhalt, Gruppenzugehörigkeit, „Liebe“
  4. Individualbedürfnisse: Wunsch nach Stärke, Erfolg, Unabhängigkeit bzw. Wunsch nach Ansehen, Prestige
  5. Selbstverwirklichung: Wunsch das eigene Potenzial auszuschöpfen, Entwicklung der eigenen Persönlichkeit

Es ist eine Fehlannahme, dass Maslow meinte, ein Bedürfnis müsse zu 100 Prozent erfüllt sein, damit das nächste Bedürfnis auftritt. Laut Maslow genügt ein Erfüllungsgrad von zirka 70 Prozent oder weniger, um das nächste Bedürfnis in den Fokus zu rücken.

Eine weitere Unterteilung nimmt er bei den ersten vier Kategorien vor – diese benennt er „Defizit- oder Mangelbedürfnisse“ – die Selbstverwirklichung sieht er als „Wachstumsbedürfnis“. Bei Nicht-Befriedigung der Defizitbedürfnisse kann es zu psychischen oder physischen Störungen kommen (wie z. B. Angst). Wachstumsbedürfnisse können hingegen nie zu 100 Prozent befriedigt werden und können ein Individuum immer wieder antreiben und motivieren. Nur solange ein Bedürfnis unbefriedigt bleibt, stellt es einen Motor dar, der das Handeln aktiviert und beeinflusst. Wird also ein Bedürfnis befriedigt (z. B. Hunger), so nimmt die motivierende Kraft des Bedürfnisses ab. Eine Person, deren Verhalten durch höhere Bedürfnisse bestimmt ist (was voraussetzt, dass alle Grundbedürfnisse befriedigt sind), ist seltener krank, schläft besser und lebt länger. Die Befriedigung dieser höheren Bedürfnisse führt weg von psychopathologischen Erscheinungen (psychischen Krankheiten) und ist damit ein wichtiger Schutzfaktor für Gesundheit. Höhere Bedürfnisse werden auch sozial höher bewertet. Das Befolgen und die Befriedigung höherer Bedürfnisse haben positive soziale Konsequenzen (z. B. Loyalität oder Freundlichkeit).

Maslow hat seine Theorie kurz vor seinem Tod adaptiert und eine neue oberste Stufe des Modells definiert: die „Transzendenz“, d.h. die Suche nach Gott bzw. einer sich selbst überschreitenden Dimension, auch außerhalb eines beobachtbaren Raums. (Siehe Abbildung 2).

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Abbildung 2: die adaptierte Bedürfnispyramide nach Maslow (1970)
Verfügbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bedürfnishierarchie#mediaviewer/File:Erweiterte_Bedürfnishierarchie_(1970)_nach_Maslow.svg [15.12.2014]

Bedürfnisse stehen dabei grundsätzlich in einem Spannungsfeld zwischen Lust und Unlust, wobei diese zwei Komponenten jedem motivierten Verhalten zugrunde liegen. Nehmen wir als Beispiel das physiologische Bedürfnis Hunger: die Person befindet sich am Anfang in einem Zustand der Unlust und der zunehmenden Spannung. Mit dem Zusichnehmen eines Nahrungsmittels sinkt die Spannung wieder in Richtung Null-Niveau, d.h. die Person befindet sich nach der Nahrungsaufnahme in einem entspannten Zustand, bis wieder ein Bedürfnis (z. B. neuerlicher Hunger) aktuell wird. Die Spannung zeigt jeweils an, dass ein Triebziel noch nicht erreicht ist. Die Lust dient als Lernhilfe, indem lustvoll erlebte Verhaltensweisen und Reizsituationen in Zukunft wieder ausgeführt oder aufgesucht werden, während die mit Unlust verbundenen Verhaltensweisen gemieden werden.

Kritik

Zusammengefasst ist die Bedürfnishierarchie eine der bekanntesten Klassifikationen von Bedürfnissen und ein vielzitiertes Motivationsmodell. Es wird oft als einführendes Beispiel genannt und besticht vor allem durch seine sehr reduktionistische Sicht. Hauptkritikpunkte sind sicherlich die unzureichende theoretische Fundierung bzw. die empirische Unüberprüfbarkeit. Weiters ist die starke Kulturabhängigkeit von Maslows Theorie zu nennen, da sie ein westlich industrialisiertes Statusdenken bzw. Individualismus voraussetzt – Haltungen, die in anderen Kulturen nicht selbstverständlich sind. Gerade in Kulturen, für die die Befriedigung der untersten Bedürfnisse wichtig erscheint, streben die meisten Personen nicht unbedingt zuerst danach, ihre eigenen Grundbedürfnisse zu stillen, vielmehr wird mehr Gewicht auf die Gruppe bzw. Stammeszugehörigkeit gelegt, und das Wohl der Gemeinschaft steht oft über den Bedürfnissen des Einzelnen.

Ein weiterer Kritikpunkt umfasst die sehr optimistische Sicht des Menschen, so passen Aggression, das Streben nach Macht und Dominanz nicht in dieses Konstrukt.

Mehrdimensionale Motivationsmodelle gehen heute auf unterschiedliche Zugänge viel differenzierter ein. Man kann Maslows Modell als allgemeine Verständnistheorie heranziehen, in der Arbeit mit psychisch kranken Personen sowie in der Personalentwicklung greift man heutzutage jedoch auf komplexere Modelle zurück.

Heutige Anwendungsfelder

Nach all der Kritik – welche Bedeutung kann nun die Maslowsche Bedürfnishierarchie in der heutigen Zeit spielen?

Das große Plus dieses Modells liegt meiner Meinung nach in der Veranschaulichung unserer Bedürfnisse. Der Mensch braucht mehr als die Befriedigung seiner Basisbedürfnisse. Zu einem erfüllten Leben gehören die beiden obersten Ebenen unbedingt dazu. Streben nach Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung sind Themen, die die Erwachsenenbildung stark betreffen. Wie kann sich der Mensch weiterentwickeln, welche Ziele verfolgt er?

Das Maslowsche Modell kann daher zum einen in die Personalentwicklung, zum anderen in die Erwachsenenbildung Eingang finden, wo sich vieles für die Führung von Mitarbeiter/innen ableiten lässt. Dabei sollte man sich folgende Fragen stellen:

  • Wie können die Mitarbeiter im Unternehmen ihre verschiedenen Bedürfnisse befriedigen?
  • Welche Fördermöglichkeiten gibt es für sie im Unternehmen?
  • Wo gibt es Ansatzpunkte zur Motivation der Mitarbeiter/innen?

Untenstehend wird ersichtlich, wie Unternehmen bestimmte Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter/innen abdecken können:

Bedürfnisse der Mitarbeiter/innen
Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung durch das Unternehmen

Physiologische Bedürfnisse
Ausreichende Bezahlung, gesunder Arbeitsplatz
Sicherheitsbedürfnisse
Sicherer Arbeitsplatz, Altersversorgung, Kündigungsschutz, Mutterschutz
Soziale Bedürfnisse
Kollegiale Teamarbeit, wertschätzende Kommunikation, respektvoller Umgang miteinander
Wertschätzung
„Firmengoodies“, Statussymbole, gerechte Bezahlung, Lob
Selbstverwirklichung
Eigenverantwortung, Mitbestimmung, Freizeit bzw. Work-Life-Balance

Dabei ist zu beachten, dass die Ansprüche zur Befriedigung von physiologischen Bedürfnissen und Sicherheitsbedürfnissen im Betrieb zumeist durch die staatliche Absicherung (Arbeitslosen- und Sozialhilfe) zurückgegangen sind. Umso mehr treten in der heutigen Arbeitswelt soziale Bedürfnisse, Wertschätzung und Selbstverwirklichung in den Vordergrund. Wichtige Faktoren sind dabei Eigenverantwortung, Lob und Anerkennung. Dies auch in großen Unternehmen nicht zu vernachlässigen, daran erinnert die Bedürfnishierarchie noch heute.

Aber nicht nur in der Personalentwicklung und in der Führung von Mitarbeiter/innen kann man sich am Modell von Abraham Maslow orientieren, auch für die Gestaltung von erwachsenenbildnerischen Angeboten kann dieses Modell einen wertvollen Beitrag leisten. In der Erwachsenenbildung können nämlich unterschiedliche Bedürfnisse abgedeckt werden. Diese anzusprechen bzw. zu wecken sollte bereits in der Ausschreibung von Bildungsangeboten berücksichtigt werden. So können z. B. Kursangebote verschiedene Hierarchie-Ebenen von Bedürfnissen abdecken. Sicherheitsbedürfnisse können durch die Teilnahme an Bildungsangeboten zu einer Sicherung des Arbeitsplatzes beitragen. Höherqualifizierung deckt aber nicht nur Sicherheitsbedürfnisse ab, es kann auch Individualbedürfnisse einschließen (Erfolg, Prestige). Auch das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Lernen in der Gruppe sollte nicht vernachlässigt werden. Gerade bei Volkshochschulkursen spielt dieses Bedürfnis eine große Rolle für den Kursbesuch. Die Selbstentfaltung, die Ausschöpfung des eigenen Potenzials, ist ein hohes Ziel, welches ebenfalls mitbedacht werden sollte. Nicht zuletzt sollte – und das ist mit Augenzwinkern gemeint – auf physiologische Bedürfnisse (Verpflegung) während eines längeren Kurses nicht vergessen werden. //

Quellen

Maslow, Abraham H. (1987): Motivation and Personality. Third Edition. New York et al.: Harper & Row.

http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/MOTIVATION/Beduerfnisse.shtml [15.12.2014].

http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Maslowsche_Bed%C3%BCrfnispyramide.png [15.12.2014].

www.duden.de [15.12.2014].

Weber, Judith Hanna (2014): Bedürfnisse – ein Bedarf der Erwachsenenbildung? In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Dezember 2014, Heft 254/65. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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