Was verhindert feministische Bildung?
Ein Essay

Nach jahrelanger leidlicher Duldung von Genderkram und Frauenpower platzt ihnen nun der Kragen. Vornehmlich männliche Mitmenschen, aber auch zunehmend weibliche Jungmenschen wollen einfach nichts mehr mit dem feministischen Nestgeruch zu tun haben. Die 23-jährige Tochter einer Freundin, Studentin an der Akademie der bildenden Künste, ist eher peinlich berührt, wenn ich sie mit feministischen Sichtweisen konfrontiere. Aber auch sie, die das Binnen-I für entbehrlich hält, sagt, eine Ausschreibung ohne geschlechtergerechte Formulierung sei heute an keiner Kunstuniversität mehr möglich. Doch geht ihr der Verdacht, dass es sich bei den weiblich Erfolgreichen um Quotenfrauen handeln könnte, gehörig auf die Nerven, DAS will sie auf keinen Fall. Sie will ihre Stärken ohne gesellschaftspolitisches Stützkorsett unter Beweis stellen. Und die männlichen Mitbewerber nicken dazu sehr kräftig.

Zum Beispiel Erich Neuwirth, Professor für Statistik und Informatik mit dem Forschungsgegenstand Pisa-Studie. Die von der SPÖ-Wissenschaftssprecherin Andrea Kuntzl angekündigte Anhebung der Quote von 40 auf 50 Prozent in den Kollegialorganen der Universitäten sieht er zum Schaden der Frauen: „De facto läuft diese Regelung auf eine systemimmanente Benachteiligung von Frauen, die bereits in einer wissenschaftlichen Universitätskarriere stecken, hinaus“, sagt er. Frauen hätten „infolge der hohen einschlägigen Arbeitslast weniger Zeit für produktive wissenschaftliche Forschung. Daher kann frau weniger publizieren als die mit ihr konkurrierenden männlichen Kollegen.“(Der Standard, 11.12.2014). Kein Hinterfragen, wer oder was denn diese „hohe einschlägige Arbeitslast“ von Frauen verursacht.

Andrea Braidt, Vizerektorin an der Akademie der bildenden Künste und Obfrau der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung, kontert ein paar Tage später: „Nur durch vorgeschriebene Quoten gelingt es den Universitäten – und auch sonst wo – die Partizipation von Frauen an Entscheidungsprozessen zu erreichen, und diese Partizipation ist ein wesentlicher Garant dafür, dass Entscheidungen vermehrt im Sinne der Partizipation von Frauen gefällt werden, insbesondere bei Berufungen.“ (Der Standard, 16.12.2014).

Was ist da passiert? Ist die Bevorzugung von Frauen aufgrund weiblicher Diskriminierung ungerecht? Hindern gar Quotenfestlegungen, Reißverschlussredereihungen, Frauenförderpläne oder gendergerechte Stellenausschreibungen die Frauen an ihrem beruflichen und persönlichen Fortkommen? Die österreichische Gesellschaft und mit ihr die Universitäten, so Andrea Braidt, „sind von der Utopie der Geschlechtergerechtigkeit weit entfernt. Und so lange muss es konkrete und wirksame Frauenförderinstrumente geben.“ (Der Standard, 16.12.2014). Schon die Frauenrechtlerin Minna Reichert meinte sinngemäß, solange Frauen noch keine Gleichberechtigung in der bürgerlichen Gesellschaft erreicht haben, ist es notwendig, ihnen ‚eine Extrawurst zu braten‘. Das ist mehr als 100 Jahre her. Dazwischen liegen wirtschaftliche Hoch- und Niedergänge, Kriege, die eine Verwahrlosung der Kulturformen und barbarischen zwischenmenschlichen Umgang hervorbrachten, und nach dem Zweiten Weltkrieg folgten schließlich Wirtschaftswunder und Aufschwung. In all diesen Zeitensprüngen lässt sich auch der Grad der Emanzipation des weiblichen Geschlechts ablesen. Die gesellschaftliche Teilhabe von Frauen war und ist eng geknüpft an ihre ökonomische Verwertbarkeit. Das Auf und Ab weiblicher Erwerbstätigkeit korrespondiert mit der jeweiligen Wirtschaftslage. Entsprechende Rollenbilder, Bildungspläne, berufliche Zugangsmöglichkeiten und politisch erwünschte Ergebnisse wurden und werden ideologisch und massenmedial geformt und verbreitet.

Ich bin noch ein Kriegskind. Als ich jung war, gab es keine Pille, keine Waschmaschine, Windeln wurden am Herd ausgekocht, es gab kein Karenzgeld, der Mutterschutz betrug sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt, es gab keine Kindergärten, dafür die 45-Stundenwoche und Samstagarbeit. Die Kämpfe der Frauenbewegungen des vergangenen Jahrhunderts um soziale Errungenschaften waren zäh und immer in Opposition zum Mainstream. Vieles wurde auch erreicht, etwa in den 1970er-Jahren die Änderung des Familienrechts, das noch aus der Postkutschenzeit stammte. Vor allem gab es für meine Generation Zukunft: das große Wunder, das sie Wirtschaft nannten. Also Arbeit in Hülle und Fülle, nicht nur unbezahlte. Ich Frau war sehr gefragt. Überall offene Wirtschaftshände für mich Fräulein Wunder. Und natürlich habe ich, durchgängig berufstätig, brav eingezahlt in die Pensionskassen. Das ging auch gar nicht anders. Denn im Unterschied zu heute gab es fast nur „gesicherte“ Arbeitsplätze, bei denen sofort der Beitrag für die Pension (Generationenvertrag) abgezogen wurde. Dafür muss ich mir heute mitunter anhören, ich würde auf Kosten der Jungen leben.

Damals begann das Nachkriegsbild der betulichen Hausfrau zu bröckeln, die Wirtschaft verlangte nach Arbeitskräften. Doch damals: Der Pubertät entwachsen, dem Frausein noch nicht ganz zugewachsen, war alles, was mit Sexualität zu tun hatte, ein geheimnisvoller, sagenumwobener Kontinent. Den zu erforschen war gefährlich. Lustvolle Angst. Nicht Geschlechtskrankheiten, sondern Schwangerschaft hieß das Damoklesschwert, das über jedem Bett schwang. Zwar hatte schon Oswald Kolle in den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts die Geheimnisse des Geschlechtlichen ans mediale Licht geholt. „Dein Kind, das unbekannte Wesen“ war eines seiner ersten Bücher, das den Eltern (eine lustfeindliche Kriegsgeneration, die sich mit anderen Verdrängungen abmühte) den Glauben an die sexuelle Unschuld ihrer Kinder nahm. Aber „darüber“ wurde in den meisten Familien nicht gesprochen. Die Folge war ein Babyboom, der mit dem aus der Nazizeit herübergeretteten weiblichen Mutterideal korrespondierte.

Das Aufbruchsklima der Protestbewegungen Ende der 1960er-Jahre brach mit Konventionen und Traditionen und brachte etwas ins Rollen, das die Mütter und Väter dieser Kinder zur Verzweiflung trieb: Sie, die den Gehorsam zwischen zwei Weltkriegen eingeprügelt bekamen und aktiv oder passiv den Hitlerfaschismus mittrugen, mussten mitansehen, dass ihre braven Söhne sich die Haare wachsen ließen, die Beatles hörten und Marx und Marcuse lasen; die artigen Töchter verweigerten sich und ihre Dienste, lasen Simone de Beauvoir oder Alexandra Kollontai und forderten gleiche Rechte. Die Mütter und Väter mussten sich die vorwurfsvollen Fragen ihrer Kinder gefallen lassen: Was hast du im Faschismus gemacht? Habt ihr denn nicht Widerstand geleistet? Das Schweigen über die Nazizeit, mehr noch: die Rückkehr vieler alter Nazis in Amt und Würden war vielen meiner Generation Initialzündung, die bestehende Nachkriegsordnung mit ihren Konsumversprechen, ihrer sexuellen Verzopftheit und ihrer familiären Kleingartenmentalität infragezustellen.

Selten war die Kluft zwischen zwei Generationen so groß. Selten hatte es einen so großen Wertewandel innerhalb kurzer Zeit gegeben. Das „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit schuf Freiräume, die Überleben und Brot nicht mehr zum zentralen Punkt der Existenz machten. Es kam etwas in Bewegung, das die erstarrten, muffigen Strukturen der Nachkriegsjahre aufbrach. Damals, Ende der 1960er-Jahre, begann die zweite, die Neue Frauenbewegung Fuß zu fassen. Feminismus war ein Schlüsselwort, auf das viele Frauen stolz waren. Mit der Selbstbezichtigungskampagne prominenter Frauen „Ich habe abgetrieben“ wurde ein Grundstein gelegt, von dem Generationen danach bis heute zehren können: Patriarchale Deutungsmuster vom „Wesen der Frau“ wurden widerlegt und es war „modern“, wenn schon nicht feministisch, sich aber zumindest politisch korrekt als frauenpolitisch bewegt zu bezeichnen. Das gesellschaftliche Klima versprach Bildung, Selbstbestimmung, Erwerbsarbeit, Selbstbewusstsein, und die Diskussionen über feministische Theorien und Praxen gehörten zum guten Umgangston selbst in Familien des bürgerlichen Mittelstands oder in öffentlich-rechtlichen Institutionen, wie etwa den Universitäten.

Doch: Die Doppel- und Dreifachbelastung der Mütter, die unbezahlte Haus- und Pflegearbeit, die geringeren Aufstiegschancen und Lohndiskriminierung blieben den Frauen. Bis heute.

Trotz feministischer Proteste, sozialrechtlicher Verbesserungen blieb ein Teil der Gesellschaft unberührt von den ideologischen Umbrüchen der 1968er-Jahre. Es wäre ein Fehler, zu glauben, feministische Erziehung oder Bildung sei jemals ein hegemoniales Konzept gewesen. In der „Lohn-für-Hausarbeit“-Debatte oder in der Abtreibungsfrage traten schon immer ideologische Differenzen zutage, die kräftig unterstützt wurden von einschlägigen Buntlackmedien oder konservativen Organisationen. Es gab sie also schon immer, diese Parallelwelten. Es ist aber eine Frage der politischen und wirtschaftlichen Verfasstheit einer Zeit, welche dieser Welten und Sichtweisen ideologisch und materiell gestützt werden.

Weshalb erzähle ich das so ausführlich? Was hat denn das mit dem Thema feministische Bildung zu tun? Ich denke, das größte Hindernis für feministische Bildung ist die Geschichtslosigkeit – das drohend verloren gehende Wissen um patriarchale Verhältnisse, Frauenkämpfe, Unterdrückung, wirtschaftliche Zwänge und frauenspezifische Lebensweisen. Das Wissen um historische Prozesse würde eventuell achtsamer umgehen lassen mit erreichtem Wohlstand und ökonomischen Ressourcen. Den sozialen Verwerfungen, die wir derzeit erleben, könnte vielleicht mit dem Erinnern an unsere eigene Geschichte etwas entgegengesetzt werden, das nicht Altes konserviert, sondern Neues und Anderes entstehen lässt. Das Wissen von vergangenen Kämpfen, das ich nicht in der Schule gelernt habe, sondern das mir Frauen in politischen Zusammenhängen vermittelten, war das Einstiegstor, mich feministisch (weiter-)zubilden.

Mit TINA (there is no alternative) hatte Margaret Thatcher das Zeitalter des Neoliberalismus eingeläutet. Feministische Bildungsoffensiven, falls es sie jemals im gesamtgesellschaftlichen Kontext gab, geraten seitdem immer mehr zwischen die Mühlsteine von Mainstream und marktkonformen Erfordernissen. Zwar ist vieles von dem, wofür Frauen meiner Generation vor einem halben Jahrhundert gekämpft haben (und so manche landete, etwa wegen einer strafrechtlich verfolgten Abtreibung, im Gefängnis) heute selbstverständlich. Doch vom Aufbruch in feministisches Neuland kann, außer in marginalen (queer-) feministischen Frauenkreisen, keine Rede sein. Heute sind Bildung, Arbeit, Ein- und Auskommen bis zur Erschöpfung lebenslang angesagt. TINA trägt die Botschaft rund um den Erdball: Lauf, sonst wirst du überholt. Konkurriere oder verliere.

Die Mädchen und jungen Frauen heute wissen, dass sie bei der Zentralmatura in Mathe oder beim Zugangstest zum Medizinstudium trotz besserer Schulerfolge schlechter als die Burschen abschneiden, dass sie trotz guter Bildung und Ausbildung geringere Chancen auf einen sozialrechtlich abgesicherten Job haben, dass sie Kinder und Beruf schwer in Einklang bringen können und wahrscheinlich einmal keine Pension bekommen werden. Sie wollen den zermürbenden Kampf ihrer Mütter und Großmütter um gesellschaftliche Teilhabe nicht auf sich nehmen und ziehen sich lieber zurück auf individuelle Krisenbewältigungsstrategien, etwa die private Glücksuche. „Warum der Feminismus versagt hat und die Frauen wieder an den Herd wollen“ lautete eine Coverstory des profil (22.9.2014): „Heim an den Herd und raus aus dem Arbeitsmarkt: Die Hausfrau und Vollzeitmutter erlebt eine Renaissance. Die Töchtergeneration der Emanzipationsbewegung hat sichtlich die Schnauze voll von Doppelbelastung und Dauererschöpfung ihrer Mütter […].“

Die Aktivistin der „plattform 20.000frauen“, Ulli Weish, eine sich selbst als „abstrudelnde erwerbstätige Mami, Feministin und Medienaktivistin“ charakterisierende Frau, hat in einer Antwort auf diesen Artikel geschrieben: „Wenn Arbeitsteilung und Lohnunterschiede nach wie vor vertieft werden, wieso ist dies die ‚Schuld‘ einer politischen Bewegung, die es seit der Moderne gibt? Dank der so professionellen und höhnischen Ausklammerung der Mainstream-Medien kann sogar die absurde These gesponnen werden, dass es aktuell kaum moderne Feminismen gäbe bzw. kaum (junge) Frauen (außer Frau Schwarzer, die entweder verrissen oder gehuldigt wird) gibt, die exakt das Gegenteil von Frau Hagers Tochter sein dürften: also konsumkritisch, schönheitsdiskursverachtend, modetrendverwitzelnd, radikal links, heterosexuell oder lesbisch sowohl mit als auch ohne Kinderfantasien, jedenfalls im Kampf um das tägliche Durchwurschteln, von einem prekären Jobprojekt zum nächsten […]“. (www.20000frauen.at, 5.1.2015).

Doch zurück zur Frage, was feministische Bildung verhindert. War es jemals gesellschaftspolitischer Konsens, feministisch zu bilden? Und wozu? Was ist darunter zu verstehen – Gendermainstreaming, Quotendiskussion, Genderbudgets, Reißverschluss und gendergerechtes Schreiben? Oder vielleicht auch eine Lebenshaltung, die vom Anspruch ausgeht, dass jede und jeder die gleichen Voraussetzungen für Entwicklungsmöglichkeiten vorfindet? Wie geht das zusammen in einer Welt der Konkurrenz und Ich-AGs, der beschnittenen Ressourcen im öffentlichen Bildungssektor und der sich rasant öffnenden Schere von Arm zu Reich? Ist die – vor allem von Massenmedien – ausgeklammerte feministische Antwort auf den Verfall von sozialen Sicherungsnetzen so zündend, dass geschwiegen wird? Dass Feminismus zum belächelten Fossil verkommt?

Natürlich, kleinräumig: gendergerechte Sprache, Bildwelt, Literatur, Mädchenförderung, feministische Schulen, bemühte Volksbildungsaktivitäten oder frauenpolitische Zirkel- oder Bloggeraktivitäten als Resultat vergangener (Frauen-)kämpfe sind begrüßenswert. Die Einsparungen im Sozial- und Bildungsbereich verengen aber den Gestaltungsraum auch für feministische Bildungsziele. Und zunehmend verbreitet sich ein antifeministisches Gesellschaftsklima. Werden uns unsere Kinder und Enkel/innen einmal die zwingend richtige Frage stellen: Warum habt ihr zugelassen, dass die Rating-Agenturen und Börsenhaie unsre Zukunft verspekulieren?

Teile dieses Artikels sind erschienen in: „Die alten 68-er: Pension oder Rebellion?“ Themenschwerpunkt von „Thema“ Nr. 12, November 2012, Verein Pro Senecute Österreich. //

Mende-Danneberg, Bärbel (2015): Was verhindert feministische Bildung? Ein Essay. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. April 2015, Heft 255/66. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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