Information is not knowledge

Information is not knowledge
Rede zur Überreichung des 21. Radiopreises der Erwachsenenbildung

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Foto: LFI/Ing. Gerald Pfabigan

„Information is not knowledge.“

Wenn man diesen Satz, der einem Song von Frank Zappa entnommen ist, für den Betreiber eines Radioprogramms umformulierte, würde er vielleicht lauten: Die Wiedergabe von Information ist nicht Wissensvermittlung. Wissensvermittlung braucht die Selektion und Bewertung von Informationen, sie muss diese Sachverhalte aufbereiten und in einen Zusammenhang stellen. In den Medien heißt diese Tätigkeit Redaktion.

In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren hat sich unsere Zugriffsmöglichkeit auf Informationen erheblich verändert. Wo wir früher auf Bücher, Zeitungen, Nachschlagewerke und Bibliotheken angewiesen waren, sitzen wir heute nicht mehr lange herum und grübeln, wer der erste Bundeskanzler der Ersten Republik war, wie die Darstellerin der „Bezaubernden Jeannie“ hieß oder wie oft Björn Borg Wimbledon gewonnen hat. Wir können uns diese Informationen sofort beschaffen. Der Ausblick auf die neuen Möglichkeiten hat schnell die Illusion geschaffen, dass damit auch die Funktion von Medien neu definiert würde. Diese Illusion ist aber eben nur eine Illusion, eine Täuschung. Wie jede Verteufelung bestimmter Medien basiert auch die Glorifizierung bestimmter Medien auf einem Fehlschluss, auf der Verwechslung der Möglichkeiten eines Mediums mit der Qualität seiner Inhalte. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Ein Medium ist nicht per se gut oder schlecht, sondern seine Gestaltung und sein Gebrauch können gut oder schlecht sein.

Ein Qualitätsmedium braucht Redaktionen, braucht Redakteurinnen und Redakteure. Redakteurinnen und Redakteure brauchen Zeit und Geld, um ihrer Arbeit nachgehen zu können, die Unabhängigkeit ihrer Arbeit muss von der Gesellschaft geschützt werden und ihre Arbeit braucht Anerkennung. Der Radiopreis für Erwachsenenbildung will eine solche Anerkennung sein. Und es ist heute notwendig, eine Lanze für das Redaktionswesen zu brechen, den Menschen klar zu machen, dass bedeutungsvolles Kultur-, Informations- und Bildungsradio nur durch die Existenz von freien Redaktionen möglich ist.

Der Effekt guter redaktioneller Arbeit kann so groß sein, dass sich Hörerinnen und Hörer sogar auf eine Redaktion mehr verlassen als auf den Inhalt einer bestimmten Sendung. Ich zum Beispiel höre die Sendung Spielräume im Radiosender Ö1, auch ohne vorher das Programm der Sendung zu lesen. Ich lasse mich von den Inhalten gerne überraschen, denn ich weiß, dass die Sendung hervorragend redigiert ist und erfahre und höre dabei stets Neues und Überraschendes.

Information is not knowledge.

Durch die Revolution der digitalen Medien ist die Anzahl und Vielfalt der Qualitätsmedien nicht gestiegen. Propaganda-Medien und Boulevard nehmen weiterhin den größten Teil der Medienlandschaft ein. Umso mehr ist der Preis, der heute hier vergeben wird, wichtig, um den Blick auf hochwertige Arbeit zu lenken. Und darauf, dass diese Arbeit heute durch zwei Bedrohungen gefährdet ist: Sie ist einerseits gefährdet durch Sparmaßnahmen, zu denen die Betreiber dieser Medien gezwungen sind oder glauben, gezwungen zu sein. Denn meist erzeugt der Glaube an die Quote vorauseilenden Gehorsam. Und meist greift das einfache Vergleichen von Statistiken und Zahlen viel zu kurz. Man denke an alle die Hitradios, die in Büros und Eigenheimen stundenlang laufen, ohne dass wirklich jemand zuhört. Sie dienen dem Vertreiben der Stille. Ist aber das Faktum, dass der Hitradiosender im Büro läuft, tatsächlich gleich hoch zu werten wie ein Radio, das läuft, weil sich ein Hörer in einer Wissenschaftssendung über bestimmte medizinische Fortschritte informiert? Die Quotenhörigkeit ist also eine Gefährdung für seriöse Redaktionsarbeit. Die zweite Gefährdung ist, dass die Politik heute wieder unverhohlen damit beginnt, Kontrolle über die Medien zu fordern. Ihr geht es nicht um die Qualität eines Mediums, sondern Parteien möchten dort ihnen opportune oder gar unterstellte Personen sitzen haben und sich selbst positiv dargestellt wissen. Qualität und Unabhängigkeit sollen durch parteipolitische Programmatik und Positionierung ersetzt werden. Wohin diese Entwicklung führt, wenn man ihr nachgibt, wissen wir. Eine Vereinnahmung durch Parteipolitik bedeutet Zensur und damit das Ende jedes Qualitätsmediums.

Anscheinend haben viele schnell vergessen, wie weit der Weg von parteipolitisch aufgeteilten Staatsmedien zu unabhängigem öffentlich rechtlichem Radio und Fernsehen gewesen ist. Anscheinend bedenken viele nicht, welche Qualität die österreichischen Medien damit erreicht haben. Mühsam war es, diesen Status herzustellen; ihn zu zerstören ist einfach und schnell möglich.

Um dieser Entwicklung zu entgehen, empfiehlt es sich, die aggressive Rhetorik der Politik nicht zu übernehmen, wohl aber die Grundlage und Bedürfnisse verantwortungsvoller Redaktionsarbeit verständlich darzustellen und zu veröffentlichen. Dazu gehört auch das klare Bekenntnis zu den Rundfunkgebühren, die allein verhindern können, dass die öffentlich rechtlichen Sender zu einem Spielzeug der Regierungen werden. Es ist kaum einzusehen, warum uns diese prekäre Lage jetzt droht, da wir uns im größten Wohlstand befinden, den es in unserem Land je gab.

Und es empfiehlt sich auch, die gute Arbeit, ja die in Österreich außerordentliche Arbeit der Radioredakteurinnen und -redakteure weiterzuführen, um Tag für Tag zu beweisen, welchen Stellenwert bedeutungsvolles Kultur-, Informations- und Bildungsradio unter freier Redaktionsarbeit in unserem Land hatte, immer noch hat und auch in Zukunft haben soll. Dazu ist der Preis da, der heute vergeben wird. Er ist ein kleines, aber wichtiges Zeichen, das den richtigen Weg weist.

Denn es soll nicht dabei bleiben, einen Status quo zu verteidigen, Sparmaßnahmen abzuwehren und den weniger schlimmen Einschnitt schon für einen Fortschritt zu halten. Jede und jeder, der sich in seinem Feld weiterbewegen will, braucht einen Traum, eine Vorstellung von der Zukunft. In dieser Zukunft sehe ich die Informations- und Bildungskanäle unter stabiler Bejahung der Bevölkerung, die sich von Demagogen u nd Abschaffern in der Politik, die nur die Interessen ihrer Parteien befolgen, nicht blenden lässt. In dieser Zukunft kann ich weiter bedeutungsvolle und weiterbildende Radiosendungen hören. In dieser Zukunft finden sogar die kommerziellen Musiksender zu einem Redaktionswesen zurück, das nicht den materiellen Realitäten der Musikindustrie unterliegt und nur diese widerspiegelt, sondern uns hören lässt, was es in der Musik Neues und Interessantes gibt, uns die Musik der Vergangenheit nahebringt und aufbereitet und unser Gehör schult, anstatt es durch Wiederholung immer derselben Musik abzustumpfen.

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Foto: Michaela Obermair

Information is not knowledge.

Die heutigen Preisträger, die heute Nominierten, aber auch sehr viele andere, die hier nicht genannt werden können — Nominierungen und Preise bilden ja immer nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Schaffens ab —, seien dafür bedankt, dass sie uns helfen, von der Information zum Wissen und vom Wissen zur Bildung vorzustoßen. Und ich hoffe, dass sie sich selbst und andere damit zu weiterer Arbeit ermuntern, auch wenn dieser Arbeit Zeiten erschwerter Bedingungen bevorstehen. Als Schriftsteller kenne ich den kommerziellen Druck, der sich von der Unterhaltungsindustrie ausgehend auch auf alle anderen Kulturschaffenden ausbreitet. Man kann sich nicht nicht mit dieser Situation beschäftigen, sondern muss sich im Gegenteil sogar dafür (oder besser dagegen) wappnen und adäquat reagieren.

Unlängst hat mich ein Journalist gefragt, ob ich mich alt fühle, und wenn ja, seit wann. Ich habe geantwortet: Ja, ich fühle mich alt — und zwar seit dem ersten Tag in der zweiten Klasse der Volksschule. Damals gab es für mich nämlich zum ersten Mal in meinem Leben Erstklässler, die waren jünger als ich. Das war für mich ein Schock. Ich beobachtete diese Erstklässler und stellte fest, dass sie ganz und gar anders waren als ich und meine Klassenkolleginnen und -kollegen. Seither (das sind jetzt immerhin 41 Jahre) fühle ich mich als Zugehöriger einer alten Welt, einer Welt, die bald aussterben wird. Das ist in der Literatur so, in der Politik, aber auch was Fernsehen und Radiohören betrifft.

Dennoch hoffe ich sehr, dass die alte Welt erhalten bleibt. Nein, mehr noch hoffe ich, dass eine neue, bessere Welt entsteht. In dieser Welt gibt es qualitativ hochwertiges Kultur-, Informations- und Bildungsradio und in dieser Welt existiert dieses Radio selbstverständlich und auf breitem gesellschaftlichen Konsens. Sie alle hier sorgen dafür, dass ein solches existiert. Und dafür gebührt Ihnen Dank, Anerkennung und Lob. Und ich hoffe, Ihnen diesen Dank, diese Anerkennung und dieses Lob heute im Namen von vielen Hunderttausenden Hörerinnen und Hörern aussprechen zu können. //

Wisser, Daniel (2019): Information is not knowledge. Rede zur Überreichung des 21. Radiopreises der Erwachsenenbildung. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2018/19, Heft 266/69. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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