Ramòn Reichert (Hg.): Big Data.

Ramòn Reichert (Hg.): Big Data.
Bielefeld: Transcript Verlag 2014, 494 Seiten.

Big Data versammeln so viel wie möglich an Daten. Mit Computern, nicht mit klassischen Methoden – da die Daten schnell anwachsen und sich verändern –, lassen sich daraus Prognosen errechnen. In der Medizin können Big Data über die besonderen Schwerpunkte einer Therapie Auskunft geben, weil Krankheiten, z.B. Diabetes, sehr individuelle Formen annehmen. Beim Lernen geben Big Data individuelles Feedback und unmittelbare Rückwirkungen auf Lernmaterial und Lernwege. Begründete Sorge besteht allerdings, da es keine Sicherheit gibt, an wen und an welche Organisationen die Großdaten schließlich gelangen und wofür sie einmal genutzt werden.

Menschen leben in komplexen Systemen und treten mit ihnen in Wechselwirkung z.B. Weltklima, Verkehr, Finanzmärkte, Internet. Mit dem Sammeln und Auswerten von Big Data ist die Erwartung verbunden, die Komplexität, in der sich menschliches Handeln befindet, zu verstehen. Die Komplexität erhöht sich, wenn die unterschiedlichen Systeme ineinander greifen und „multiple Netzwerke“ formen. Überlegt man die Konsequenzen der durch Big Data entstehenden neuen Chancen, Komplexität als Lebensbedingung zu analysieren und zu interpretieren, merkt man, dass das bloße Herstellen von Korrelationen naiv wirkt. Durch Big Data entsteht vielmehr eine neue Dimension der Erkenntnis in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich gerade konstituiert und qualifiziertes Personal erfordert.

Für den Sektor „Digital Humanities“ wird dies in der vorliegenden Publikation belegt. Der Herausgeber, Ramòn Reichert, Dozent an der Donau-Universität-Krems, will mit seinem Buch Anregungen für Reflexionen geben, um sich differenziert mit den „datenbasierten Medienumbruch der Gegenwart“ zu beschäftigen. Es entwickeln sich datenbasierte und datengesteuerte Wissenschaften, wobei die Rolle der Daten in den neuen Wissenschaftskulturen sowie ihr Stellenwert bezüglich Macht, Wissen und Ökonomie in interdisziplinärer Hinsicht systematisch aufzuarbeiten ist (vgl. S. 11).

Das Buch ist in fünf Kapitel mit fast zwanzig Artikeln unterteilt.

Kapitel 1 stellt die „Big Digital Humanities“ vor, in deren Zentrum die Computeranwendung in den Geistes- und Kulturwissenschaften sowie die Digitalisierung von Ausgangsdaten steht. Kapitel 2 diskutiert die „Geschichte und Theorie der Daten“. Als Pionier von Big Data wird Roberto Busa, ein Jesuitenpater, genannt, der Lochkarten für die Erstellung eines Index für Schriften von Thomas von Aquin in den 1950er-Jahren nutzte. Entscheidende Impulse erhielt die Forschung mit Großdaten Anfang der 1960er-Jahre in den USA durch den Kalten Krieg, als Weltdatenzentren, World Data Centers, geschaffen wurden. Lässt die Verbindung von Glaube und Sicherung der Macht nicht an bekannte Muster, wie europäische Staaten die Welt  kolonialisierten, denken?

Kapitel 3 beschäftigt sich mit digitalen Methoden, wobei es auch um die Erforschung der digitalen Medien oder um die Twitter-Forschung in Zusammenhang mit Wahlanalysen geht. Kapitel 4 „Dataveillance: Algorithmen, Graphen und Protokolle“ behandelt die sozialen Steuerungsprozesse sowie die machtpolitischen Aspekte, die datengenerierte Forschung und Datenkulturen beinhalten – politische Relevanz von Software und von digitalen Medientechnologien stehen im Zentrum.

Kapitel 5 „Digitale Technologien und soziale Ordnungsvorstellungen“ konzentriert sich auf sozialgeschichtliche Aspekte, wie Großdaten verarbeitet werden, und das Wechselverhältnis zwischen technischen Infrastrukturen und Vorstellungen von sozialer Ordnung. Unter anderem wird gezeigt, wie der Computer von einem Medium des Speicherns zu einer Medienkultur der ständigen Übertragung und Vernetzung geführt hat. Nicht nur der Stellenwert sozialer Netzwerke, sondern auch die sozialen Akteure haben sich verändert.

Bei dem umfangreichen Buch handelt es sich um eine wissenschaftsbasierte und -orientierte Publikation. Sie sensibilisiert für den vor sich gehenden Wandel in der Produktion von Wissen und bezüglich der komplexen Sicht auf unser Dasein. Sie zeigt veränderte Forschungsmethoden sowie Reaktionen der Scientific Community auf eine neue mögliche Weltsicht und neue wissenschaftliche Problemstellungen.

In der wissenschaftlichen Weiterbildung empfiehlt sich das Buch für Forscherinnen und Forscher – in der Praxis der Erwachsenenbildung für Fachleute, die die Thematik „Big Data“ und ihre Konsequenzen bearbeiten, reflektieren, vermitteln und popularisieren wollen. //

Lenz, Werner (2014): Ramòn Reichert (Hg.): Big Data. Bielefeld: Transcript Verlag 2014, 494 Seiten. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Dezember 2014, Heft 254/65. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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