Bildung für junge Flüchtlinge oder ein regionales Integrationsmodell

Am 17. Dezember 2015 wurde der Unterricht für 16 nicht mehr schulpflichtige jugendliche Flüchtlinge in der Polytechnischen Schule Klagenfurt eingestellt. Am darauffolgenden Montag vor Weihnachten startete für diese Zielgruppe der erste „Basisbildungskurs für junge Flüchtlinge“ in den Kärntner Volkshochschulen. Zwölf weitere Kurse sollten folgen. Der vorliegende Artikel umreißt die Ausgangssituation in Kärnten und er gewährt einen Einblick in das Projekt „Basisbildungsmaßnahmen für junge Flüchtlinge“ in der VHS Kärnten.

Nach der Ankunft von mehreren tausend Flüchtlingen im Herbst 2015 und einer darauffolgenden Welle der Hilfsbereitschaft der Zivilbevölkerung sahen die Kärntner Volkshochschulen den pädagogischen Auftrag darin, dass sie verstärkt Integrationsagenden in ihr Tätigkeitsrepertoire aufnehmen werden müssen. In den Angeboten der Basisbildung sowie den Lehrgängen zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses, beide über die Initiative Erwachsenenbildung (IEB) akkreditiert, konnte bereits vor den turbulenten Ereignissen im Herbst 2015 ein wachsender Anteil an Personen mit Migrationshintergrund verzeichnet werden. Diese Situation spitzte sich dann im Februar 2016 zusehends zu. Auf zehn freie Plätze in einem Basisbildungskurs kamen durchschnittlich 60 bis 80 InteressentInnen. Vor allem die Zielgruppe von Personen mit laufendem Asylverfahren drängte in die Maßnahmen der IEB, die aufgrund folgender offenen Zielgruppendefinition diese zumindest bis dato nicht ausschließt: „Zur Zielgruppe des Programmbereichs Basisbildung zählen in Österreich wohnhafte Erwachsene mit Basisbildungsbedarf, ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Erstsprache und eventuell vorliegender Schulabschlüsse.“ (Siehe: www.initiative-erwachsenenbildung.at)

Geeint plädierten die Kärntner Volkshochschulen bereits im Herbst 2015 für die Schaffung eines professionellen Sprachkursangebotes für Personen im Asylverfahren, welches das Ehrenamt entlasten und einen nachhaltigen Spracherwerb gewährleisten sollte.

Investition in Sprache schafft Perspektive

Während weite Teile Deutschlands sowie die übrigen Bundesländer in Österreich bereits ein Angebot realisieren, in dem Personen während des Asylverfahrens flächendeckend Deutschunterricht durch ausgebildete „Deutsch als Zweitsprache“-TrainerInnen erhalten, ist dies in Kärnten leider noch nicht der Fall. Dabei sind Sprachkurse weit mehr als Grammatik, Phonetik oder Syntax. Viel mehr bilden sie die Basis sämtlicher Integrationsbemühungen und schaffen Perspektiven beziehungsweise Ressourcen, die entweder in anderen europäischen Ländern ebenso benötigt werden, wie auch – im Falle einer Rückschiebung – in den Ländern aus denen die Personen geflohen sind. Ein eng gefasstes Bildungsverständnis mit geografisch begrenzter Verwertungslogik greift hier zu kurz. Ebenso ist eine populistisch gedrängte Aufteilung in sogenannte Wirtschafts- und Kriegsflüchtlinge dabei wenig zielführend.

Leider waren die gesetzten Aktionen von öffentlicher Seite gerade in dem Zeitraum von Oktober 2015 bis Sommer 2016 durch Schnellschüsse beziehungsweise Ausschlüsse gekennzeichnet. Integrationsmaßnahmen wurden mit Sondermitteln breit gefördert, ohne die Förderung an Qualitätsstandards der Erwachsenenbildung zu koppeln. Der Großteil der Zielgruppe wurde im Vorhinein aufgrund des Aufenthaltsstatus ausgeschlossen. Erschwerend kam hinzu, dass ständig neue Einrichtungen und Institutionen sich die Themen Integration und Sprachförderung auf die Fahnen hefteten, ohne über die nötige Infrastruktur bzw. Erfahrung in diesem Bereich zu verfügen, frei nach dem Zen-Spruch: „Jeder tut, was er kann, aber nicht jeder kann, was er tut.“

Basisbildung für jugendliche Flüchtlinge in Kärnten

Ein positives Gegenbeispiel, zu diesem Zeitpunkt und bis heute, stellen die Basisbildungsmaßnahmen für junge nicht mehr schulpflichtige Flüchtlinge seit April 2016 dar, die durch das damalige Ministerium für Bildung und Frauen ins Leben gerufen wurden. Laut Auskunft durch das Flüchtlingsreferat des Landes Kärnten umfasst diese Zielgruppe im September 2016 zirka 68 unbegleitete und zirka 300 begleitete Jugendliche in Kärnten. Erste Erfahrung konnte das TrainerInnen-Team der VHS mit dieser Zielgruppe bereits in dem am 21. Dezember 2015 gestarteten Kurs sammeln. Dieser Kurs musste nach viertägiger Vorlaufzeit ins Leben gerufen werden, da die Polytechnische Schule Klagenfurt den Unterricht für diese Zielgruppe mit 17. Dezember 2015 einstellen musste. Mittels einer zugesicherten Übergangsfinanzierung des Landes Kärnten konnten 16 Jugendliche bis zum Schulstart im Feber 2016 an der VHS grundlegende Sprachkompetenzen erwerben.

Schnell zeigte sich, dass die Basisbildung mit der individuellen Lernstandserfassung und den Methoden der Erwachsenenbildung für diese Zielgruppe eine äußerst effiziente Bildungsmöglichkeit darstellte. Mit einer Vermittlungsquote von 87,5 Prozent konnte ein wichtiges Ziel des Pilotprojektes nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen werden. Mit Start des Schulsemesters konnten beinahe alle TeilnehmerInnen in bestehende Angebote des regulären Schulsystems, des AMS oder der Erwachsenenbildung vermittelt werden. Zudem zeigte die Dokumentation beeindruckende Lernfortschritte.

Vom Pilot- zum Regelbetrieb

Im April 2016 starteten schließlich die Kärntner Volkshochschulen nach Zusage des BMBF die ersten drei Kurse für junge Flüchtlinge mit jeweils zehn TeilnehmerInnen in Feistritz an der Drau und in Klagenfurt. Aktuell läuft je ein Kurs in Treffen, Villach und Klagenfurt. Beginnend mit einem Clearing-Verfahren, in dem neben den sprachlichen auch die sozialen und beruflichen Kompetenzen erhoben werden, können die Jugendlichen anhand der gewonnenen Informationen und Potenziale individuell gefördert werden. Das Augenmerk liegt verstärkt auf jenen Personen, die entweder einen Alphabetisierungs- oder einen Zweitschrifterwerbsbedarf aufweisen, da es in diesem Bereich nur unzureichend Angebote in Kärnten gibt. Klassische DaZ-Sprachkurse werden von den jeweiligen VHS-Bezirksstellen in ganz Kärnten ergänzend angeboten. Neben dem Spracherwerb durch akkreditierte BasisbildungstrainerInnen sind auch sozialpädagogische Inhalte, wie die Entwicklung eigener Lernstrategien, Teile des Kurses. Als vormittagsstrukturierende Maßnahme geplant, sollen die Jugendlichen an einen weiterführenden regulären Schulunterricht gewöhnt werden, um eine spätere Integration in bestehende Angebote zu erleichtern. Eine zunehmende Herausforderung, da viele Flüchtlinge keinen achtjährigen Schulsozialisierungsprozess durchlaufen haben.

Um Mobilitätsproblemen entgegenzuwirken, wurden die ersten Kurse zudem direkt in den Unterkünften der unbegleiteten Jugendlichen durchgeführt. Vor dem Projekt bereits gewonnene Erfahrung bei der Durchführung von Sprachkursen in Asylunterkünften bestärkte das Bestreben, Bildungsangebote direkt vor Ort zu schaffen. Ein weiterer Benefit war, dass durch die eingesparten Mieten für externe Lehrräume die maximale TeilnehmerInnenzahl erhöht werden konnte. Schlussendlich musste diese Überlegung verworfen werden, da die Jugendlichen dem Kurs einen höheren subjektiven Wert beimessen, wenn sich dieser außerhalb des Unterkunftsstandortes befindet. Aktuell werden daher Kooperationen mit dem Landesschulrat angestrebt, um leere Schulräume in der Region zu reaktivieren und die Wege zu den Kursen so kurz wie möglich zu halten. Die Topografie Kärntens mit zahlreichen weitläufigen Tälern und die teilweise negativen Vorbehalte in der Mehrheitsbevölkerung gegenüber der Zielgruppe, vor allem in den ländlichen Regionen, sind nicht zu unterschätzende Risikofaktoren des Projektes.

Beinahe gleichzeitig mit den Basisbildungskursen für junge Flüchtlinge startete der Landesschulrat Kärnten an der höheren Lehranstalt für Wirtschaft und Mode (WIMO) in Klagenfurt eine Übergangsklasse mit zwanzig Plätzen für nicht mehr schulpflichtige jugendliche Flüchtlinge. Eine Kooperation mit den Volkshochschulen war zu Beginn der Klasse im Februar 2016 aufgrund gesetzlicher Vorgaben nicht möglich. Erst ab Mai konnten die SchülerInnen durch das Angebot der Basisbildung zusätzlich gefördert werden. Eine Win-win-Situation für beide Einrichtungen. Die WIMO konnte eine geeignete Fördermöglichkeit für schwächere SchülerInnen anbieten und die VHS die schulische Infrastruktur nutzen. Hervorzuheben ist vor allem die Vermittlungsquote in die bestehenden Klassen der WIMO. So konnten alle KursteilnehmerInnen entweder in die fünfjährigen oder in die dreijährigen Klassen integriert werden. Kein Wunder, dass die Volkshochschulen nun auch beim zweiten Durchgang als Kooperationseinrichtung fungieren und das Projekt der Übergangsklasse nun in die Handelsakademie Villach mit der VHS als Partner ausgeweitet wurde.

Begegnungsräume schaffen – Ehrenamtliche einbinden

Ein wesentlicher Bestandteil des Projektes ist die aktive Einbindung ehrenamtlicher Personen, wobei die Verantwortungsbereiche der unterschiedlichen Akteure klar voneinander getrennt wurden. Das Sprachtraining übernehmen dabei ausschließlich die BasisbildungstrainerInnen der VHS. Dies wurde von den Ehrenamtlichen äußerst wohlwollend angenommen, da die Planung und Durchführung des Deutschkurses mitunter auch als sehr fordernd empfunden wurde. Die Aufgabe der ehrenamtlichen Personen liegt nun vermehrt darin, Räume zum informellen Sprachtraining zu schaffen und zu betreuen. Durch den Wegfall der fachlichen Hürde einen Deutschunterricht gestalten zu müssen, konnten besonders in den ländlich strukturierten Regionen neue Freiwillige gewonnen werden. Begleitend durch die Volkshochschulen vor Ort wurden Workshops zu relevanten Themen zur Professionalisierung des Ehrenamtes angeboten, wie der richtige Umgang mit traumatisierten Personen, Basics zum Betreiben von Sprach-Cafés oder mögliche Unterstützung im Integrationsprozess. Des Weiteren wird aktuell ein Weiterbildungslehrgang für Ehrenamtliche mit integrationsrelevanten Modulen im Bereich Sprache, Traumatisierung und Wissenswertes über rechtliche Beratung durchgeführt. Dieses Themenspektrum konnte nur mittels Kooperationen unterschiedlicher Einrichtungen, wie Diakonie, Caritas oder dem Roten Kreuz realisiert werden, wobei die Kärntner Volkshochschulen auf ein gut gepflegtes Netzwerk zurückgreifen konnten.

Aussicht

Die Historie des Projektes „Basisbildung für junge Flüchtlinge“ ist geprägt durch eine laufende Weiterentwicklung und Optimierung des Angebotes. So mussten ursprüngliche Überlegungen verworfen und neue Wege der Kooperation geschaffen werden. Gerade im Integrationsbereich ist es wichtig, die verschiedenen Stakeholder optimal einzubinden, sodass sie eben jene Skills einbringen, die sie bereits haben. Ein erwachsenengerechtes Alphabetisierungs- bzw. Basisbildungsangebot ist dabei das Alleinstellungsmerkmal der Kärntner Volkshochschulen in diesem Integrationsprozess, die dabei auf ein hoch-qualifiziertes Team an TrainerInnen und SozialpädagogInnen zurückgreifen können. Das Schulsystem mit einer ausgebauten Infrastruktur und schulpädagogischen SpezialistInnen zur Erlangung formal anerkannter Abschlüsse sowie eine überaus motivierte Zivilbevölkerung, die mit Hilfe wertvoller Lebenszeit unterstützen, sind dabei wichtige Kooperationspartner, die aufgrund der jeweiligen institutionellen Stärken zu gelungener Integration beitragen können. Zukünftig wird vor allem auch die berufsbildende Erwachsenenbildung in diesen Prozess vermehrt eingebunden werden, um das Spektrum an Perspektiven für diese Zielgruppe zu erweitern.

Hilfreich wären dabei Sensibilisierungsmaßnahmen, nicht nur für die Mehrheitsbevölkerung, sondern besonders auch für die Seite der FördergeberInnen, um ein Bewusstsein für die benötigte Feinarbeit mit dieser Zielgruppe zu schaffen. Zum Beispiel ist eine Alphabetisierung ohne schulische Vorerfahrung bzw. ohne die Möglichkeit auf kognitive Sprachstrukturen zurückgreifen zu können innerhalb eines Intensivkurses (zirka 180 Unterrichtseinheiten) nicht möglich, wie dies jedoch häufig von Fördergeberseite gefordert wird.

Ein konkretes Zukunftsvorhaben ist eine Beratungsstelle ab 2017 für diese Zielgruppe in Kärnten, die nicht nur die erwähnte Zusammenarbeit aller Stakeholder verbessern, sondern auch das vorhandene Angebot für die Zielgruppe optimieren soll. Die Beratungsstelle fungiert dabei als Case Manager und soll für eine passgenaue Zusammenführung von den Bedürfnissen der Jugendlichen und den möglichen Optionen der Bildungs- als auch der Arbeitswelt sorgen. Eine begleitende Unterstützung nach Beendigung der Bildungsangebote soll zudem Integrationsabbrüche verhindern. Ziel ist, das vorhandene Angebot optimal zu nutzen, Doppelgleisigkeiten zu vermeiden und noch nicht vorhandene aber absolut notwendige Strukturen zu schaffen.

Aktuell arbeitet das Land Kärnten mit der Erstellung eines Integrationsleitbildes an der theoretischen Grundlage gelungener oder besser gelingender Integration. Bildungseinrichtungen und besonders die Kärntner Volkshochschulen mit ihrem emanzipatorischen Bildungsansatz sind dabei gefordert, diesen Prozess praktisch mitzugestalten und Perspektiven für die Zukunft zu schaffen. //

Hell, Benjamin (2016): Bildung für junge Flüchtlinge oder ein regionales Integrationsmodell. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Dezember 2016, Heft 260/67. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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