Einleitung
Basisbildung, wie wir sie bei den Wiener Volkshochschulen und insbesondere im Bereich der Initiative Erwachsenenbildung (IEB) verstehen, hat demokratische, teilhabende, selbstkritische und kritisch-handlungsorientierte Lebensdimensionen im Fokus. Sie versteht sich als permanente gesellschaftliche Entwicklungsaufgabe, die aktive und selbstermächtigende Gestaltung der eigenen Zukunft zu ermöglichen. Hierzu zählen „klassische“ Kompetenzbereiche wie Alphabetisierung, die deutsche Sprache (inklusive aller vier Fertigkeiten Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben), weitere Sprache(n), Mathematik und Digitalisierung, aber auch sogenannte Alltagskompetenzen, die u.a. kritische Medienkompetenz, politische Handlungskompetenz, Lernkompetenz („Lernen lernen“) und Gender- und Diversitätskompetenz umfassen. Somit grenzt sich Basisbildung auch von einem autoritären Verständnis von Alphabetisierung im Sinne von lesen, schreiben oder rechnen lernen ab. Basisbildungsbedarf resultiert aus gesellschaftlichen Entwicklungen, die neue Herausforderungen für Menschen und ihr Handeln mit sich bringen. Reduzierte Möglichkeiten einer aktiven Mitgestaltung des gesellschaftlichen Umfelds, erschwerter Zugang zu Technologien und Information, zum Arbeitsmarkt und zu Aus- und Weiterbildungen bewirken Ausgrenzungen. Sie erschweren zudem die Auseinandersetzung mit einer sich laufend verändernden Umwelt. Dies gilt sowohl für Menschen mit deutscher Erstsprache als auch für Menschen mit anderen Erstsprachen, es gilt für Menschen mit unterschiedlichen Bildungshintergründen, Erfahrungen, Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten (vgl. Fachgruppe Basisbildung: 2017).
Die neue Strategie der Europäischen Kommission zum Thema Lebenskompetenzen („Life Skills“) umfasst u.a. Resilienzförderung, digitale Kompetenzen, kritische Medienkompetenz, KonsumentInnen- und Finanzbildung, Nachhaltigkeitskompetenzen, Gesundheitskompetenz und soziale/emotionale Kompetenzen (vgl. Bisovsky 2022). Im Fokus soll non-formales, lebenslanges, interkulturelles und Gemeinschaftslernen stehen sowie ein inklusives System der Erwachsenenbildung, das alle erreicht, einschließlich SeniorInnen und Personen, die bisher vom Zugang zu Lernen ausgeschlossen waren bzw. nur schwer erreicht werden konnten. Auch Fern- und Online-Unterricht werden explizit erwähnt. Bildungszentren, Bibliotheken sowie die Gemeinschaft und die Zivilgesellschaft sollen unterstützt werden, damit sie Erwachsene motivieren und dazu befähigen, zu lernen und so ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen zu stärken (vgl. Europäische Kommission: 2020).
Erfahrene BasisbildnerInnen erkennen im Modewort „Life Skills“ also kein neues Konzept, sondern erkennen viele der Alltagskompetenzen wieder, mit denen sie sich im Basisbildungsunterricht bereits auseinandersetzen. Da Basisbildung sich vor allem an den Bedürfnissen und Bedarfen der Teilnehmenden orientiert, haben „Life Skills“ bereits einen großen Platz im Unterrichtsgeschehen, da diese ja auch von den Teilnehmenden für ihren Alltag oder ihr Berufsleben eingefordert werden. Die politische Handlungskompetenz wird nun in der neuen „Life Skills-Strategie“ nicht explizit erwähnt, zählt aber unbedingt auch zu den bereits existierenden Querschnittskompetenzen in der Basisbildung. Dieser Artikel soll ein paar kurze Schlaglichter auf Aspekte und Beispiele aus der Praxis (aus dem Bereich der IEB an den Wiener Volkshochschulen) werfen, in denen die Förderung von „Lebenskompetenzen“ bereits in der Basisbildung umgesetzt wird.
Resilienzförderung („resilience, empowerment and confidence building to cope with change“)
Basisbildung ist Empowerment! Indem im Unterricht niederschwellig und kleinschrittig und immer ausgehend von den bereits vorhandenen Kompetenzen der Lernenden vorgegangen wird, können alle Lernerfolge, so scheinbar klein sie auch sein mögen, sichtbar gemacht werden. Dadurch und durch die gemeinsame, systematische Reflexion des Lernprozesses wird die Autonomie und Selbstwirksamkeitsüberzeugung von Lernenden als AkteurInnen ihrer eigenen Lernprozesse gefördert.
Diese Kompetenzen sind aber auch abseits von Lernprozessen unabdingbar und zeigen besonders in Krisenzeiten den Umgang mit Unsicherheiten, Wandel und Umbrüchen. Hier lässt die Basisbildung ihre Teilnehmenden nicht allein: Während aller Lockdowns und vor allem zu Beginn der Covid-19-Pandemie waren Unterrichtende, ProgrammmanagerInnen und SozialpädagogInnen während der Unterrichtszeiten weiterhin telefonisch oder per Mail, in einigen Fällen auch persönlich, erreichbar und boten so eine enorme Stütze im neuen Krisenalltag. Vor allem die sozialpädagogische Beratung, die auch außerhalb des Krisenmodus für alle Teilnehmenden der Basisbildung einen wichtigen Baustein für die individuelle Resilienzförderung darstellt, hat sichergestellt, dass wir aufgrund der Pandemie keine/n TeilnehmerIn verloren haben und hat Partizipationsmöglichkeiten und Räume für Selbstfürsorge eröffnet.
Auch das Lernen und der Austausch in kleinen Gruppen in der Basisbildung dient der Resilienzförderung: Schwierige Situationen, die einzelne Teilnehmende erlebt haben oder die sie beschäftigen (wie z. B. rassistische oder sexistische Diskriminierungserfahrungen), können zur Sprache gebracht und in der Gruppe besprochen werden. Aber auch gemeinsame Lebensrealitäten und positive Erfahrungen schweißen zusammen. Die untereinander vertraute Gruppe kann sich bestärken und motivieren und bietet den Einzelnen somit ein höchst emanzipatorisches Setting.
Digitale Kompetenzen („digital skills“)
Die Förderung digitaler Kompetenzen ist bereits eine der „klassischen“ Basisbildungskompetenzen, früher noch unter „IKT“ bekannt. Der Umgang mit einfachen Textverarbeitungsprogrammen (z. B. auch anhand des Schreiben eines Lebenslaufs, den viele Teilnehmende brauchen), das Benutzen eines Fahrkartenautomaten oder das Schreiben von Emails waren schon immer wichtige Bestandteile des Basisbildungsunterrichts. Natürlich hat der Digitalisierungsprozess durch die Covid-19-Pandemie einen Riesensprung nach vorne gemacht und sowohl Teilnehmende als auch Unterrichtende sahen sich plötzlich mit einer neuen Unterrichtsrealität konfrontiert. Digitale Tools wurden ausgetestet, für diejenigen, die sich bewährt haben, wurden Lizenzen angekauft. Unterrichtende und Teilnehmende wurden zum Teil mit Endgeräten ausgestattet, um am Distance-Learning teilnehmen zu können.
Aus der anfänglichen Not wurde eine Tugend: Digitale Tools sind – in unterschiedlicher Ausprägung, da an die jeweiligen Zielgruppen angepasst – ein fixer Bestandteil in unserem Basisbildungsunterricht. In vielen Kursgruppen gibt es regelmäßige Distance-Learning-Tage, um digitale Tools nicht nur theoretisch kennenzulernen, sondern auch praktisch anwenden zu können. Die Förderung von Lebenskompetenzen basiert auf „Learning by doing“! So werden z. B. Arbeitsaufträge per Mail, über Messenger oder Moodle verschickt, die Teilnehmenden sollen ihre Antworten auch auf diesem Wege zurückschicken. Zwischendurch werden Online-Konferenzen abgehalten, um etwaige Fragen zu besprechen und Hilfestellung zu leisten. Die Kommunikation und der Austausch in der Gruppe verlagern sich an diesen Tagen meist auf Messenger, das Moodle-Forum oder über Reaktionen bzw. Kommentare im Padlet.
Damit das funktioniert, müssen zu Beginn der Kurse einige Dinge erhoben und im Unterricht mit den Teilnehmenden erarbeitet werden: z. B. das Anlegen von E-mail-Adressen, das Registrieren auf einer Plattform wie Moodle, und, ganz wichtig: das Anlegen eines guten Passwortes und vor allem auch die Erinnerung daran. Hierfür haben Arbeitsgruppen eine Art „IT-Handreichung“ entwickelt, die allen Unterrichtenden für ihren Bereich zur Verfügung steht und eine Orientierung darstellt. Doch auch der regelmäßige kollegiale Austausch und interne Weiterbildungen zu digitalen Themen stellen sicher, dass die Förderung digitaler Kompetenzen im Basisbildungsunterricht am Puls der Zeit bleibt.
Kritische Medienkompetenz („media literacy and critical thinking, civic skills“)
Die Förderung digitaler Kompetenzen in der Basisbildung geht mit kritischer Medienkompetenz einher. Oft entfachen sich Diskussionen im Kurs, weil ein/e TeilnehmerIn von etwas Unglaublichem erzählt, das im Internet stand oder über digitale Kettenbriefe verbreitet wurde. Hier hat die Basisbildung im Hinblick auf eine informierte Partizipation an der Gesellschaft auch einen gesellschaftlichen Auftrag und bindet Themen wie die Seriosität von Quellen, das Konzept der Nachprüfbarkeit oder auch die Verbreitung von Verschwörungstheorien in den Unterricht mit ein.
Auch hier war natürlich zu Beginn der Covid-19-Pandemie viel zu tun: Viele Teilnehmende waren verunsichert ob der ungesicherten Informationen und vielen Fake News und Verschwörungstheorien im Umlauf. Die Förderung kritischer Medienkompetenz in Verbindung mit Resilienzförderung war zu dieser Zeit eine der Hauptaufgaben der Basisbildung und ein wichtiger Grund, warum wir uns entschieden haben, die Kurse trotz unabsehbarer Lockdowns und dem Sprung ins kalte Wasser, ins Distance-Learning, weiterzuführen.
Aber auch bei anderen gesellschaftlichen oder politischen Themen befasst sich die Basisbildung immer wieder mit dem Aufräumen von Mythen in Fake News, wie z. B. beim Thema „Covid-19-Impfungen“ oder ganz aktuell im Ukraine-Krieg. Hier wird auch immer wieder an die bereits erwähnte politische Handlungskompetenz angeknüpft, in deren Rahmen viel diskutiert wird, aber auch intensiv z. B. vor anstehenden Wahlen recherchiert und analysiert wird. Auch beteiligt sich die Basisbildung an der VHS Wien regelmäßig sehr breit an den von SOS Mitmensch organisierten „Pass-Egal-Wahlen“2 und setzt sich in den Kursen mit gesellschaftlicher Partizipation auseinander.
KonsumentInnen- und Finanzbildung („consumer and financial literacy“)
Aufgrund der Alltagsbezogenheit von Basisbildung nimmt dieser Bereich einen großen Platz ein und wird auch kompetenzbereichsübergreifend unterrichtet. Ein Beispiel ist das Thema „Wohnen“, das sowohl im Sprach- als auch im Mathematikunterricht (z. B. die damit verbundenen Kosten ausrechnen oder Flächenberechnungen durchführen) und unter Einbezug digitaler Elemente (z. B. eine Wohnung anhand von Suchportalen im Internet herausfiltern) behandelt wird. Aber auch alltägliche Verträge, wie z. B. ein Handyvertrag, werden im Basisbildungsunterricht thematisiert. Wie kann man sie vergleichen und wie finde ich den für mich Besten? Welche Internetseiten können dabei helfen? Auf was muss ich achten („Kleingedrucktes“)? Das Entwicklungsprojekt „In.Bewegung“ unter der Mitarbeit der VHS Floridsdorf hat 2017 ein für die Basisbildung sehr brauchbares und niederschwelliges Lernmodul zum Thema „KonsumentInnenschutz“ publiziert2.
Natürlich spielen vor allem in diesem Bereich auch Exkursionen bzw. Workshops eine große Rolle. So z. B. gibt es immer wieder Kursgruppen, die das FLiP3 besuchen, in dem im Rahmen einer interaktiven Tour finanzielles Wissen niederschwellig erklärt und für das eigene Leben erfahrbar gemacht wird.
Nachhaltigkeitskompetenzen („environmental literacy“)
Auch in diesem Bereich haben Exkursionen bzw. Workshops einen großen Einfluss und machen die Bedeutung dieser Kompetenzen erfahrbar. So bietet z. B. die Umweltberatung4 als spezialisierte Einrichtung der VHS Wien verschiedene Workshops an, die sich mit Themen wie Nachhaltigkeit, Müllvermeidung, Klimaschutz etc. befassen und mit den Teilnehmenden der Basisbildung in intensiven Austausch treten.
Diese Themen sind aber Standard im Unterricht und bieten sehr viele Übungsmöglichkeiten, wie z. B. im Rahmen von Diskussionen die eigene Meinung auszudrücken und zu vertreten, oder auch gemeinsam zu überlegen, was man individuell und in der Gruppe tun kann, um zum Umwelt- bzw. Klimaschutz beizutragen. Auch die globale Perspektive kommt immer wieder vor, z. B. wenn der Weg einer Jeans oder eines Paar Sneakers nachverfolgt wird und die langen Lieferketten und großen Wertsteigerungen bei jedem Schritt meist für Erstaunen sorgen.
Gesundheitskompetenz („dietary and health literacy“)
Ernährung und Gesundheit sind genauso schon immer Querschnittsthemen in der Basisbildung, auch aus dem Grund, weil sie sich als sehr niederschwellige und alltagsbezogene Themen für ganz unterschiedliche Zielgruppen, von Jugendlichen über Eltern bis zu SeniorInnen, anbieten. Sprechanlässe ergeben sich z. B. im Unterricht zu den individuellen Ernährungs- und Sportgewohnheiten der Teilnehmenden, Vokabeln können anhand der Ernährungspyramide trainiert werden. Dialoge umfassen Besuche bei ÄrztInnen oder im Spital und im Mathematikunterricht kann mit den Zahlen aus Nährwerttabellen gearbeitet werden.
Aber auch wichtige Tipps zur Gesundheitsvorsorge werden im Basisbildungsunterricht thematisiert und ausgetauscht. Die Covid-19-Pandemie hat auch das Thema „Hygiene“ stärker in den Vordergrund gerückt und die Gesundheitskompetenz somit gleich praktisch anwendbar gemacht, ganz im Sinne der „life skills“. Gerade im Bereich der Vorsorge werden mit den Teilnehmenden auch oft Workshops besucht, wie z. B. vom Institut für Frauen- und Männergesundheit,5 das auch genderspezifische Aspekte thematisiert.
Soziale/emotionale Kompetenzen („social and emotional literacy“)
Basisbildungsunterricht fördert den Austausch in der Gruppe und bietet den Teilnehmenden somit die Möglichkeit, sich selbst in einer geschützten Umgebung auszuprobieren und in der Gruppe die Rolle(n) einzunehmen, in der man sich wohlfühlt. Vor allem zu Beginn eines Kurses, aber auch zwischendurch, werden von den Unterrichtenden, aber auch z. T. den SozialpädagogInnen, gruppendynamische Übungen angeleitet, die die Kursdynamik positiv beeinflussen.
Anhand unterschiedlicher Sozialformen im Unterricht lernen die Teilnehmenden, mit unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten und auf sie einzugehen, gleichzeitig aber auch, sich selbst auf unterschiedliche Weisen auszudrücken. Der Kurs wird also nicht nur als Ort des Lernens, sondern auch als Ort des sozialen Austauschs angesehen, an dem soziale und emotionale Kompetenzen gestärkt werden und Resilienz gefördert wird. Daher ist auch der Präsenzunterricht, trotz der fortschreitenden Digitalisierung, immer noch von großer Bedeutung und wird vor allem für die Basisbildungsteilnehmenden wohl nicht so bald von reinem Online-Lernen abgelöst werden.
Ausblick
„Life skills“ bzw. Lebenskompetenzen sind also inhärenter Bestandteil einer teilnehmendenorientierten und partizipatorisch-emanzipatorischen Basisbildung. Der Fokus der Europäischen Kommission auf diesen Begriff kann dennoch dazu beitragen, die Aufmerksamkeit wieder stärker auf diese Kompetenzen zu legen, die durch die Fokussierung auf die eher „klassischen“ Basisbildungskompetenzen im Rahmen des 2019 eingeführten „Curriculum Basisbildung in der Initiative Erwachsenenbildung“6 sicher in vielen Fällen aufgrund mangelnder Ressourcen ins Hintertreffen geraten sind.
Vor allem im Bereich der Resilienzförderung werden aktuell in kleineren Projekten neue Ansätze mit kreativen Methoden für die Basisbildung erarbeitet, wie z. B. auch bei der EPALE und Erasmus+ Konferenz 2022 sichtbar wurde.7 Aber auch die explizite Erwähnung der „life skills“ in Verbindung mit Fern- und Online-Unterricht ermöglicht die Weiterentwicklung von Methoden, die mehr Partizipation, Austausch und Kommunikation in diesen Formaten fördern. Wie oben beschrieben, hat der Kursort in der Basisbildung nicht nur, aber vor allem in Krisenzeiten auch eine wichtige stabilisierende Funktion, die in Fern- oder Online-Formaten nur schwer zu erfüllen ist.
Auch eine stärkere Einbettung der Basisbildung in „learning communities“ kann angedacht werden. Basisbildung kann und soll sich im Sinne des „lifelong learning“ mit anderen Institutionen der Erwachsenenbildung vernetzen und Synergien nutzen. Ein gutes Vorbild hierfür sind in Wien bereits die Bildungsgrätzl,8 in denen Schulen und Kindergärten mit außerschulischen Einrichtungen kooperieren, wie z. B. den Wiener Volkshochschulen, Bibliotheken, Vereinen etc. Auch finden bereits gezielt Angebote der VHS an anderen Orten statt, wie z. B. in Schulen, Gemeindebauten oder in Parks. Die Basis- bzw. Erwachsenenbildung kann von solchen Kooperationen und aufsuchenden Maßnahmen nur profitieren und wichtige Impulse für diese „learning communities“ liefern. //
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