Ingrid Brodnig: Wider die Verrohung. Über die gezielte Zerstörung öffentlicher Debatten. Strategien & Tipps, um auf Emotionalisierung und Fake News besser antworten zu können.

Ingrid Brodnig: Wider die Verrohung. Über die gezielte Zerstörung öffentlicher Debatten. Strategien & Tipps, um auf Emotionalisierung und Fake News besser antworten zu können.
Wien: Christian Brandstätter Verlag 2024, 176 Seiten.

Wir haben in allen entscheidenden politischen Fragen recht! Andere Parteien terrorisieren die Bevölkerung! Die dafür verantwortlichen Politiker*innen kommen auf eine Fahndungsliste! Wir allein vertreten die Interessen der Bevölkerung gegen die Regierung!

„Verrohung“ äußert sich in dieser zitierten extremistischen Rhetorik, in eskalierender Sprache, in einem sich selbst überschätzenden Alleinstellungsmerkmal, „stets richtig zu liegen“. 

Ingrid Brodnig, profilierte Autorin, Journalistin und Erwachsenenbildnerin, schreibt in ihrem neuen Buch gegen diese von ihr konstatierte Verrohung, gegen Hassrede und Desinformation an. Absicht dieser „verrohten“ Kommunikation ist es, politisch lancierte Polarisierungen und Spaltungen, Emotionalisierung und sprachliche Provokationen, kalkulierte „Moral Outrage“ – wütende, moralische Entrüstung – hervorzubringen. Das heißt, ein unversöhnliches Klima zu schaffen, in dem „wir“ auf der „richtigen“ und „guten“ Seite stehen und uns deshalb als „Opfer“ gegen „Unrecht“ und „Böses“ wehren müssen. Die Autorin belässt es aber nicht bei aufklärenden Analysen, sondern bietet auch Tipps und Empfehlungen, wie wir eine demokratische Diskussionskultur erhalten und schützen können.

Eingangs legt Ingrid Brodnig dar, wie Eskalation als Geschäftsmodell zur Wirkung kommt. Aufmerksamkeit des Publikums gewinnen Texte, die Emotionalität, vor allem in Richtung „Aufregung“ mit sich bringen. Darauf folgen Wortmeldungen auf Social Media, Kommentare und „teilen“ – je mehr Aufrufe, umso mehr Geld bringt das von der Werbung. Lockende Headlines, provokative erste Zeilen, unbewiesene Behauptungen dominieren den Anfang von Beiträgen! Die erst gegen Ende des Artikels erfolgenden Abschwächungen und Relativierungen mindern dann kaum mehr die geschürte Irritationskraft. „Wir gegen sie“, lautet die Devise der Spaltungslogik.

Inhaltlich thematisiert Ingrid Brodnig in den folgenden Kapiteln: den politischen „Bullshit“ in sozialen und traditionellen Medien; Aktivitäten, die die Gesellschaft spalten wollen; die „Rhetorik als Waffe“; die „Verzerrung der Realität“ und abschließend, wie man „für Demokratie beharrlich eintreten“ kann.

Für Letzteres gibt die Autorin auf Basis „lagerübergreifender Empathie“ drei Anregungen, um in Diskussionen und Gesprächen die eigenen Positionen effizient zu vertreten:

  • „Niemand muss alles allein machen“: Das große vorhandene zivilgesellschaftliche Potenzial birgt ausreichend Gelegenheiten und unterstützende Personen, um engagiert und wehrhaft gegen Polarisierungen zu kooperieren.
  • „Nicht zu anspruchsvolle, sondern realistische Ziele festlegen“: Dies verhilft zu wichtigen, motivierenden Erfolgserlebnissen; niederschwellige Ziele zu erreichen, ermutigt, weitere Ziele anzustreben.
  • „Vielschichtigkeit zulassen“: Das ermöglicht, die Komplexität von Menschen, Situationen und Herausforderungen zu erkennen, wahrzunehmen und sichtbar zu machen, um Widerstand gegen simplifizierende „Schwarz-Weiß-Optik“ zu leisten. 

Der Autorin gelingt es in ihrem Buch, Anregungen, wie man polarisierende Rhetorik vermindern oder ganz vermeiden kann, einfühlsam und fachlich versiert zu präsentieren. Die Aussagen in den einzelnen Kapiteln werden zu wissenschaftlichen Studien in Bezug gesetzt, basieren auf vielen Gesprächen und Interviews sowie auf eigenen Erfahrungen. Anschaulich werden sie durch praktische Beispiele aus dem medialen Alltag ergänzt. Jedes Kapitel endet mit Tipps und Empfehlungen für wertschätzende Gesprächsführung, woraus sich Anlässe für individuelles und soziales Lernen ergeben können.

Wenn die Autorin ihre eigene Meinung gegen andere Positionen vertritt, argumentiert sie immer respektvoll. Leserinnen und Lesern eröffnet sich Raum, eigenen Gedankengängen zu folgen, um danach wieder zur Lektüre zurückzukehren. Nachdrücklich tritt Ingrid Brodnig für eine Medienkompetenz ein, die auch „digitales Lesen“ betrifft. Sie plädiert für einen Unterricht – das gilt auch für die Erwachsenenbildung – der erkennen hilft, wann und mit welcher Absicht Polemik eingesetzt wird. Mit diesem Anliegen trifft sie aktuelle Bemühungen der Erwachsenenbildung, die Erwachsene in ihrem demokratischen Verhalten unterstützen wollen. 

Emotionalen und intellektuellen Rückhalt durch die Lektüre können sicherlich alle Personen gewinnen, die sich dem ideologischen Korsett – „wir gegen die“ – nicht unterwerfen, sondern einer produktiven, öffentlichen Debatten- und Streitkultur mehr Einfluss verschaffen wollen.

Das Buch, inhaltlich und im Layout, mit didaktischem Feingefühl verfasst, empfiehlt sich für die Professionalisierung Lehrender in allen Bildungsbereichen. Für die Erwachsenenbildung finden sich methodische Hinweise, z. B. „Deep Convassing“ (Meinung erforschen, Stimmen werben), die praxisorientierte, aktivierende Bildungsarbeit fördern. Die Lektüre vermittelt didaktische Qualitäten, die sich auch in der regionalen Bildungsarbeit in Diskussionen und am „Biertisch“ sehr gut einsetzen lassen. //

Lenz, Werner (2025): Ingrid Brodnig: Wider die Verrohung. Über die gezielte Zerstörung öffentlicher Debatten. Strategien & Tipps, um auf Emotionalisierung und Fake News besser antworten zu können. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Frühjahr 2025, Heft 284/76. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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